Zum Internationalen Frauentag

08.03.2022
Bild: Nina Vasilchenko
Bild: Nina Vasilchenko

Seit im März 1911 der erste internationale Frauentag gefeiert wurde, hat sich viel verändert. Wir haben das Recht zu wählen, zu studieren, uns scheiden zu lassen, einen Beruf auszuüben und ein politisches Amt zu bekleiden, sogar das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit hat den Weg in die Gesetzbücher gefunden. Der Kapitalismus hat uns (fast) alles gegeben, was er uns geben kann, doch selbst diese Rechte sind Angriffen ausgesetzt und müssen täglich verteidigt werden. Aber was nützen uns diese Rechte, wenn sie uns nicht ermöglichen, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern, weil wir in einem zutiefst ausbeuterischen System mit einer höchst ungerechten Arbeitsteilung leben? Weil Armut, Krieg und Gewalt unsere Chancen aushöhlen, diese Rechte zu genießen?

Was haben die Arbeiter*innen davon, die in Bangladesch für Hungerlöhne unsere Kleider nähen, oder die 24-Stunden-Pfleger*innen, die ihre eigenen Familien zurücklassen müssen, um hier pflegebedürftige Menschen zu betreuen? Was bringt es afghanischen Frauen, die man den Taliban schutzlos ausgeliefert hat und denen man nun die Einreise verweigert? Was bringt es Menschen, die wegen geschlechtsspezifischer Unterdrückung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität fliehen mussten, und die nun in elenden Flüchtlingslagern ausharren, wo sie Übergriffen ausgesetzt sind, oder die wegen der restriktiven Asylpolitik von Abschiebungen bedroht sind? Was bringt es Notreisenden, die auf den Straßen betteln, um sich und ihren Kindern ein Überleben zu sichern?

Der brutale Krieg in der Ukraine aber auch in vielen anderen Regionen der Erde sowie der jüngste Bericht des Weltklimarats führen uns deutlich die Verwüstungen vor Augen, die das kapitalistische Patriarchat anrichtet: Gewalt gegen Menschen, Gewalt gegen die Natur. Die Lage, in der wir uns derzeit befinden, ist sehr gefährlich, doch wir dürfen den Mut nicht verlieren. Das Chaos bietet nämlich auch die Chance, den radikalen Wandel einzuleiten, den wir so notwendig brauchen. Dazu brauchen wir eine Bewegung, die sich nicht nur für die Interessen einer bestimmten Gruppe einsetzt und die Probleme anderer ausblendet. Wir brauchen eine Bewegung, die global denkt und deren Solidarität nicht an nationalen Grenzen endet.

Erinnern wir uns an die Streiks der Textilarbeiterinnen in den USA, die mit ihrem berühmten Lied "Brot und Rosen" ausdrückten, dass sie nicht nur für höhere Löhne kämpfen, sondern für alles, was das Leben bietet. Erinnern wir uns auch die Textilarbeiterinnen in St. Petersburg, die in den Streik traten, um gegen Hunger und Krieg zu protestieren, und damit die Februarrevolution entfachten. Oder an die Halleiner Tabakarbeiterinnen, die als einzige im ganzen Bundesland Salzburg geschlossen in den Streik traten, als es im Februar 1934 darum ging, Widerstand gegen die Zerschlagung der Arbeiter*innenbewegung durch den Faschismus zu leisten. Und an die Widerstandskämpferinnen im Nationalsozialismus, die ihr Leben riskierten, um Menschen vor Verfolgung und Tod zu retten und gegen den Krieg zu agitieren.

Denken wir an all die Arbeiterinnen, Schülerinnen, Studentinnen, Hausfrauen, Kleinbäuerinnen, Indigenen, die sich heute überall auf der Welt zusammentun, um Widerstand gegen Unterdrückung und Umweltzerstörung zu leisten. Sie pflanzen Bäume an, konservieren Saatgut, experimentieren mit neuen Anbaumethoden, verteidigen den Regenwald oder unterstützen Geflüchtete. Sie kämpfen mit Gewehren und Stöcken, mit Blockaden uns Streiks, mit Gedichten und Liedern, vor allem aber mit Mut, Ausdauer und Einfallsreichtum. Sie sind weder berühmt noch außerordentlich begabt, aber sie wissen, dass ihre Stärke im Zusammenhalt liegt. Sie wissen, dass sie nichts von einem System zu erwarten haben, das auf Konkurrenz und Ungleichheit aufgebaut ist.

Sie können uns inspirieren und uns Mut und Kraft geben, um uns zusammenschließen und gemeinsam dafür zu kämpfen, alle Strukturen zu beseitigen, die Unterdrückung produzieren und reproduzieren. Nur so können wir es schaffen, den Kreislauf von Gewalt, Rassismus und Ausbeutung zu überwinden und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ALLE Menschen auf dieser Erde ein gutes Leben führen können!