Unsere Umwelt und der Kapitalismus

17.10.2020

Die Zerstörung unserer natürlichen Umwelt ist bereits so weit fortgeschritten, dass die Zukunft der Menschheit bedroht ist. Wissenschaftler*innen auf der ganzen Welt warnen vor dramatischen Folgen, wenn wir weitermachen wie bisher. Nur leider folgen darauf kaum Konsequenzen. Klimakonferenzen gehen mit unverbindlichen Absichtserklärungen zu Ende. Sind die Mächtigen dieser Welt zu ignorant, zu arrogant oder zu korrupt, um die Maßnahmen umzusetzen, die die Menschheit braucht? Oder ist unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem gar nicht in der Lage, angemessen auf den Notstand zu reagieren?


Die Krise hat verschiedene Dimensionen. Die Zerstörung von Wäldern und anderen Ökosystemen hat zu einem dramatischen Artensterben geführt. Ist ein Tier oder eine Pflanze einmal ausgestorben, ist der Verlust unwiederbringlich. Die Verschmutzung des Wassers und der Luft gefährdet die Gesundheit der Menschen. Und schließlich droht die rasant ansteigende Klimaerwärmung, die Lebensgrundlagen der kommenden Generationen zu vernichten. Die Probleme verstärken sich gegenseitig und haben bereits zum Kollaps zahlreicher Ökosysteme geführt. Es ist, als ob unsere Erde von einem bösartigen Krebs zerfressen wird.

Am Stadtrand von Accra durchsuchen Kinder giftigen Elektroschrott nach verwertbaren Stoffen. Wenn es regnet, wird das Gift in die Flüsse und Lagunen geschwemmt.

Minen- und Ölkonzerne verseuchen Luft, Böden und Flüsse, zum Beispiel in Kanada, im Regenwald Ecuadors oder im Nigerdelta. 1995 wurde der Schriftsteller Ken Saro Wiwa zusammen mit acht weiteren Bürgerrechtlern in Nigeria hingerichtet, weil er die Verschmutzung des Nigerdeltas anprangerte.

Die Amazonaswälder werden für die Rinder- und Schweinezucht oder den Sojaanbau gefällt oder abgebrannt. Damit werden nicht der Lebensraum indigener Völker sowie zahlreicher Tier- und Pflanzenarten vernichtet, sondern auch die Lungen unseres Planeten. Auch die Regenwälder Borneos sind Lebensraum zahlreicher erstaunlicher Lebewesen, dreiviertel der Wälder Indonesiens sind jedoch bereits zerstört.

Was sind die Ursachen für diese Zerstörung? Ist es die Gier der Konzerne oder der Egoismus der Menschen?

Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir verstehen, nach welchem Regeln das wirtschaftliche und politische System, in dem wir leben, funktioniert. Unser System wird Kapitalismus genannt, weil sich das Kapital - also Geld, Maschinen, Fabriken usw. - in privatem Besitz befindet. Einzelne Kapitalisten und Kapitalgesellschaften investieren ihr Geld in ein Unternehmen mit dem Ziel, Profit zu machen und ihr Kapital zu vermehren. Manchmal kooperieren sie, aber am Ende muss jedes Unternehmen seinen Vorteil suchen, um im Konkurrenzkampf zu überleben. Der Kapitalismus hat mehr technische Innovationen und eine schnellere Produktivitätssteigerung hervorgebracht als jede andere Epoche der Geschichte. Schon lange wäre die Produktion für den Weltbedarf ausreichend. Wenn die Deckung des Bedarfs jedoch überschritten ist, ist eine weitere Produktionssteigerung nicht mehr sinnvoll, sondern zerstörerisch.

Warum ist der Kapitalismus als System nicht fähig, mit unseren natürlichen Ressourcen in einer nachhaltigen Weise umzugehen und für kommende Generationen zu planen, selbst wenn einzelne Kapitalisten und Unternehmen das wollen? Auch wenn es einzelne Kapitalisten und Konzerne sind, die diese Krise verursacht haben, müssen alle bestimmten Regeln folgen, ohne die unser System nicht funktioniert.

Regel Nr. 1: Antrieb für jede Produktion ist der Profit

In einer kapitalistischen Gesellschaft wird buchstäblich alles in eine potenzielle Profitquelle verwandelt, auch das Wissen und die Gesundheit der Menschen. Die Natur wird vom Kapital als Geschenk betrachtet, das es sich aneignen, ausbeuten und plündern kann. Sogar Umweltkatastrophen werden als Gelegenheit zur Profiterzeugung wahrgenommen. So wird das Abschmelzen des Polareises in der Arktis von US-amerikanischen, russischen, kanadischen und norwegischen Unternehmen als Chance gesehen, neue Ölquellen zu erschließen, um damit die Klimaerwärmung noch weiter anzuheizen.

Regel Nr. 2: Die Produktionsweise folgt dem Kommando: "Expandieren oder untergehen"

Die Wirtschaft ist aufgeteilt in Einheiten, die sich in privatem Eigentum und unter privater Kontrolle befinden. Jede dieser Einheiten muss um ihren Platz auf dem Markt kämpfen. Entweder ein Unternehmen erweitert seine Marktanteile, strebt nach Innovation und behauptet sich gegenüber der Konkurrenz, oder es geht unter. Dieser Zwang zum Wachstum beschleunigt die Vernichtung unserer Lebensgrundlagen. In einer Wirtschaftsform, deren Ziel Kapitalwachstum ist, können nämlich ökologische Kriterien nie im Zentrum der Entscheidungen stehen. Jeder Kapitalist muss Kosten und Effizienz seines Unternehmens einer strengen Buchhaltung unterziehen. Wenn ein Konzern die Regenwälder Indonesiens fällt, um das Holz zu verkaufen oder Palmölplantagen anzulegen, fließen jedoch weder der CO2-Ausstoß noch das Überleben des Orang-Utan oder des Sumatra-Tigers in seine Berechnungen ein. Der Horizont seiner Berechnungen ist kurzfristig, weil Investitionen nach möglichst kurzer Zeit zurückfließen sollten. Konsequenzen in zehn, 20 oder 30 Jahren spielen keine Rolle. Würden Umweltschäden in die Berechnung einfließen, wären die Aktivitäten dieser Konzerne nicht profitabel.

Regel Nr. 3: Der Kapitalismus weitet sich durch imperialistische Herrschaft aus

In der Mitte des 19. Jahrhunderts begann der Kapitalismus seine Grenzen zu sprengen. Wie Gangsterbanden drangen die imperialistischen Mächte in fremde Kontinente ein und führten gegeneinander blutige Kriege. Seither beherrschen sie die politischen und sozialen Strukturen der unterworfenen Länder - damals direkt durch unverblümte koloniale Ausbeutung und Unterdrückung, heute mehr indirekt durch neokoloniale Dominanz mit Unterstützung der einheimischen Eliten. Der Aufstieg des Kapitalismus ist somit untrennbar verbunden mit dem Genozid an der indigenen Bevölkerung Amerikas, mit der Verschleppung und Versklavung von Millionen Afrikaner*innen und mit der kolonialen Ausplünderung großer Teile der Welt. Der Kapitalismus hat verheerende Depressionen und zwei Weltkriege ausgelöst. Heute liegt die Macht in den Händen von ein paar wohlhabenden Nationen, die durch ihre Investitionen und Handelsabkommen den Reichtum des Rests der Welt kontrollieren.

Viele wertvolle Ackerböden sind durch Überbeanspruchung und falsche Nutzung unfruchtbar geworden, immer mehr Menschen verlieren durch Vertreibung und Landraub ihre Lebensgrundlage und suchen in den Städten Arbeit. Slums von Megastädten wie Nairobi, Mumbai, Kairo, Sao Paulo oder Lagos beherbergen heute bereits über eine Milliarde Menschen, deren Kinder dort inmitten von Müll aufwachsen und in verseuchten Kanälen spielen müssen.

Kann der Kapitalismus durch Gesetze in die Schranken gewiesen werden?

Nun werden viele einwenden: "Kapitalisten können diese Verbrechen doch nur begehen, wenn man sie gewähren lässt. Aber Gesetze können ihnen Grenzen setzen. Warum kämpfen wir nicht für mehr und bessere Reformen?" Als erfolgreiches Beispiel können bestimmte Erfolge durch internationale Übereinkommen wie das FCKW-Verbot angeführt werden. Es sind tatsächlich wichtige Schritte unternommen worden, um die Umweltzerstörung in bestimmten Regionen aufzuhalten und Unternehmen zur Einhaltung bestimmter Normen zu zwingen. Doch leider reichten diese Anstrengungen nicht aus, um uns aus der Krise zu holen, denn:

  • Das Ausmaß der Reformen hängt damit zusammen, welche Auswirkungen sie auf die Unternehmensprofite und das Funktionieren des kapitalistischen Systems haben. Politische Machthaber, die im Rahmen des kapitalistischen Systems arbeiten, sind abhängig vom Kapital. Deshalb sind Umweltgesetze begrenzt, Angriffen ausgesetzt und werden wieder aufgehoben, wenn sich die Interessen des Kapitals ändern.
  • "Grüne" Fortschritte in imperialistischen Ländern gehen oft auf Kosten der Länder des Südens. Unternehmen investieren hier in grüne Technologien und lagern die Verschmutzung aus. Die Abholzung des Regenwalds oder die Lagerung von Giftmüll geht dort unvermindert weiter, wo das Kapital keine Umweltstandards einhalten muss.

Ein neuer "Grüner Deal" als Lösung?

Kann uns der Umstieg auf erneuerbare Energien aus der Krise führen? Kapitalisten investieren in die Technologien, aus denen sie die höchsten Profite ziehen können. Weil das Energiesystem, das auf fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas basiert, enorm profitabel ist, werden die Konzerne und Kapitalgesellschaften so tief und so lange bohren, bis sie den letzten Tropfen Öl zutage befördert haben. Hinzu kommt, dass jeder Staat nach den billigsten Energien sucht, um gegenüber den anderen im Vorteil zu sein. Gewaltige Summen sind zudem bereits in den Aufbau von Infrastrukturen zur Förderung fossiler Energieträger geflossen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass Unternehmen freiwillig auf dieses Kapital verzichten werden.

Die Entwicklung grüner Technologien würde ebenfalls einen großen Kapitalaufwand erfordern. Wie kann man Unternehmen dazu bringen, in grüne Technologien zu investieren? Der Trick dabei sei, meinen manche, diese Technologien profitabel zu machen, zum Beispiel durch staatliche Subventionen. Doch selbst wenn der Staat in grüne Technologien investiert, darf nicht vergessen werden, dass dieses Geld aus Steuergeldern stammt, die durch Unternehmensprofite generiert werden, zum Beispiel auch aus denen der Autoindustrie. Heute haben globale Konzerne zudem eine stärkere Wirtschaftskraft sowie eine höhere Eigentums- und Machtkonzentration als viele Staaten.

Biotreibstoffe sind ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn erneuerbare Energie unter kapitalistischen Bedingungen produziert wird. Wenn Biotreibstoffe Profite versprechen, stürzt sich das Kapital auf die Agrarproduktion. Das hat zur Folge, dass weniger Nahrungsmittel angebaut werden und die Preise für Lebensmittel ansteigen, was für die arme Bevölkerung in den Ländern des Südens katastrophale Auswirkungen hat. Wenn dann noch für die Erzeugung von Biodiesel Regenwälder gerodet werden, werden mehr Treibhausgase freigesetzt als durch die Verwendung von herkömmlichem Diesel.

Wir sind als Lebewesen Teil der Natur und brauchen zum Überleben sauberes Trinkwasser, saubere Luft zum Atmen und fruchtbare Böden, um unsere Nahrung zu erzeugen. Deshalb ist es unumgänglich, dass wir die Verbrennung fossiler Brennstoffe beenden. Wir brauchen dringend saubere und nachhaltige Energiesysteme wie Solarenergie, Windkraft und Erdwärme, doch diese Technologien können uns nur dann aus der Krise führen, wenn sie zum Wohle der Menschheit eingesetzt werden und nicht zur Erzeugung von Profit.

Weil die Lösung des Problems nicht von denselben Akteuren herbeigeführt werden kann, die es verursacht haben, können wir auch nicht davon ausgehen, dass wir unser Klima im Rahmen des herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystems retten können. Um der Zerstörung unseres Planeten ein Ende zu setzen, müssen wir neue Wege beschreiten. Um den drohenden Klimakollaps abzuwenden, brauchen wir Kooperation statt Konkurrenz und Entwicklung statt Wachstum. Wir brauchen eine Produktionsweise, deren Ziel die Deckung der menschlichen Bedürfnisse und somit auch der ökologischen ist.

Dies erfordert zweifellos auch den Verzicht auf einige Gewohnheiten. Aber wäre es denn wirklich ein großer Verlust, die Monotonie unserer Arbeit, den Zwang, gegen andere zu konkurrieren und uns bestmöglich zu verkaufen, und die Bedeutungslosigkeit des ständigen Konsumierens auszutauschen gegen die Möglichkeit, unsere Arbeits- und Lebensbedingungen selbst zu gestalten? Der größte Teil der Menschheit hat ohnehin nichts zu verlieren außer Elend und Unterdrückung, aber wir alle gemeinsam haben eine Welt zu gewinnen.

veröffentlicht in Talktogether Nr. 73 / 2020

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