Vom Teller der Armen essen …

09.08.2009

Motiviert durch steigende Nahrungsmittelpreise und die wachsende Nachfrage nach Agrartreibstoffen setzen Investoren zunehmend auf große Agrarprojekte in anderen Ländern. Nicht nur Unternehmen in Staaten wie Japan, Südkorea, Saudi-Arabien und den Golfstaaten, die extrem abhängig von Nahrungsimporten sind, um ihre Bevölkerung zu ernähren, sind dazu übergegangen, landwirtschaftlich nutzbare Flächen in armen afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Staaten aufzukaufen, sondern auch internationale Investmentfirmen und Hedgefonds. In den letzten eineinhalb Jahren hat ein wahrer Run auf landwirtschaftlich nutzbare Flächen eingesetzt. Nach Schätzungen des Internationalen Forschungsinstituts für Ernährungspolitik wurden seit 2006 fast 20 Millionen Hektar Land in Entwicklungsländern gekauft oder gepachtet.

Die neue Landnahme: Ernährungssicherheit oder neuer Kolonialismus?

"Die Zeit ist reif. Durch das Wertsteigerungspotential des Ackerlandes, sowie die langfristig steigenden Preise für Nahrungsmittel und nachwachsende Rohstoffe bietet sich eine attraktive und zukunftsorientierte Investitionsmöglichkeit. Die Bewirtschaftung der erworbenen Flächen ermöglicht zusätzliche Renditen, sorgt für eine sichere laufende Verzinsung des Investments und garantiert eine Wertsteigerung des Ackerlandes". 
ICP - Industrial Crop Production

"Der Wettlauf um das Ackerland kann in zwei Worten zusammengefasst werden, so weit es uns betrifft, Ernährungssicherheit", sagt die Vorstandsvorsitzende einer kanadischen Investorengruppe Susan Payne auf dem World Agri Invest Congess. Der steigende Konsum einer aufstrebenden Mittelklasse in China und Indien habe die Lebensmittelpreise ansteigen lassen, was Agrarflächen für Investoren extrem attraktiv gemacht habe. "Wasser ist der absolut zentrale Punkt für Investitionen", ergänzt Payne, weil Länder wie China und Indien von einer zunehmenden Wasserknappheit betroffen seien. Außerdem seien klare Landrechte ausschlaggebend, weshalb sich viele Investoren scheuen, in Ländern wie der Ukraine zu investieren, wo ausländische Firmen nur Anteile von Landbesitz erwerben dürfen. Afrika, daran lässt Payne keinen Zweifel, sei die am niedrigsten hängende Frucht.

"Ernährungssicherheit wird eines der wichtigsten Themen des G-8 Treffens in L'Aquila sein", schreibt der japanische Premierminister Taro Aso am 5. Juli 2009 in der Financial Times. Japan, als der Welt größter Importeur für Nahrungsmittel und größter Geldgeber für landwirtschaftliche Entwicklung, habe hier eine wichtige Rolle zu spielen, vor allem angesichts der Nahrungsmittelkrise und der Hungeraufstände, mit der viele Länder im letzten Jahr konfrontiert waren. Um den Zugang zu Nahrungsmitteln nachhaltig zu sichern, müsse die landwirtschaftliche Produktion über nationale und geographische Grenzen hinweg ausgeweitet werden. Nach Meinung Asos diene dieses Geschäft den Interessen der Investoren gleichermaßen wie denen der Gastländer.

Durch die Investitionen eröffnen sich neue Entwicklungsperspektiven, behaupten internationale Finanzorganisationen, weil die Landflächen ungenutzt oder zu wenig genutzt seien und den unterentwickelten Ländern auf diese Weise Zugang zu Technologien verschafft werde. Zweifellos ist eine Entwicklung der Landwirtschaft in vielen Regionen der Erde nötig. Aber es muss die Frage gestellt werden: Welche Entwicklung und wem dient sie? Kann eine Enteignung der Bauern und Bäuerinnen das geeignete Mittel sein, um die Armut zu beseitigen?

Eine Untersuchung der Vereinten Nationen hat ergeben, dass die Regierungen sog. Entwicklungsländer den Investoren riesige Agrarflächen überlassen ohne dafür Geld zu bekommen. Um den Investoren die erwarteten Renditen zu sichern, muss aus dem Boden möglichst viel herausgeholt werden. Das fragile ökologische Gleichgewicht wird aber durch großflächige Monokulturen, den Einsatz von Kunstdünger, chemischen Pestiziden und genmanipuliertem Saatgut gefährdet. Wenig produktive Kleinbauern, die oftmals keine registrierten Landrechte haben, könnten verdrängt und vertrieben werden. Es besteht also die Gefahr, dass durch diese Investition im Namen der Ernährungssicherung für die betroffenen Menschen in den Zielländern eine Verschärfung der Armut und des Hungers hervorgerufen wird.

Wettlauf um fruchtbares Land

Unter den Zielen der Investoren befinden sich Länder wie Äthiopien, Madagaskar oder Kambodscha, in denen die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gefährdet ist, und die auf Nahrungsmittelimporte und oft auch auf Hilfslieferungen angewiesen sind.

Kambodscha erfährt gerade etwas, das man als epidemischen Landraub bezeichnen könnte. Riesige Flächen des Landes wurden Privatfirmen für großflächige industrielle Landnutzung übertragen. Die Regierung behauptet, das würde die Entwicklung vorantreiben. Doch Mitgliedern der regierenden Elite wird vorgeworfen, Schmiergelder erhalten zu haben, während ein großer Teil der ursprünglichen BewohnerInnen ohne Kompensation vertrieben wurde.

Internationale Unternehmen und Fonds investieren nicht nur in Länder mit brachliegenden Landflächen und Landreserven, sondern auch in überbevölkerte Regionen, wo Land bereits knapp ist und intensiv genutzt wird, wie auf den Philippinen. Während verschiedene Unternehmen aus Bahrain dort in die Produktion von Basmati-Reis investieren, hat die britische Firma: Pacific-Bio Fields Holding Plc. 400.000 Hektar Regenwald aufgekauft, um Kokospalmen für die Erzeugung von Biotreibstoffen anzupflanzen. Die philippinische Bauernorganisation KMP wirft der Europäischen Union vor, auf die philippinische Regierung Druck ausgeübt zu haben, das Verbot von ausländischem Landbesitz aufzuheben, womit die Basis für den Ausverkauf gelegt wurde.

Auch Länder wie Indien oder Ägypten beteiligen sich an diesem Wettlauf. Indien mit seinen kleinen und zersplitterten Landbesitzen sei ungeeignet für die kommerzielle Landwirtschaft im großen Stil. Außerdem würden Wassermangel, schlechte Lagerungs- und Transportmöglichkeiten die Effektivität der landwirtschaftlichen Produktion behindern. Unterstützt von der Regierung investieren indische Firmen in Äthiopien und Kenia, um Getreide, Zuckerrohr und Palmöl für den Bedarf in Indien zu produzieren.

"Die Nahrungsproduktion auszulagern kann vielleicht die Versorgung der investierenden Länder sichern, wird aber Hunger und Nahrungsknappheit bei der lokalen Bevölkerung der Gastländer auslösen", kritisiert Devinder Sharma vom Forum für Biotechnologie und Ernährungssicherheit, "auch die Umweltschäden wie ausgelaugte und versalzte Böden, ein sinkender Grundwasserspiegel und eine durch Chemikalien zerstörte Umwelt werden vom Gastland getragen". Die Einführung von Gen- und Biotechnologie hat in Indien bereits Millionen Kleinbauern in den Ruin getrieben. Durch die Konkurrenz mit Billigimportprodukten würden sie weiter auf den Boden gedrückt werden.

Widerstand gegen die Enteignung

Weltweite Schlagzeilen machte der Widerstand gegen den Vertrag, den der südkoreanische Daewoo Konzern 2008 mit Madagaskar abschloss. Dem Unternehmen sollte für einen "symbolischen Preis" an die Hälfte der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche der Insel überlassen werden, um im trockenen Westteil des Landes Futtermais anzubauen, während im tropischen Osten Regenwälder gerodet werden sollten, um Palmöl für die Herstellung von Biosprit zu produzieren. Als Gegenleistung versprach das Unternehmen lediglich, in Straßenbau und Bewässerung zu investieren.

Nahrung und Biosprit sollten exportiert, und Arbeitskräfte aus Südafrika importiert werden. Zurück bliebe eine Bevölkerung, die sich selbst kaum ernähren kann: Die meisten EinwohnerInnen Madagaskars müssen von weniger als einem Dollar pro Tag leben, die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren ist mangelernährt. Nach heftigen Protesten und Unruhen hat die Regierung im März des Jahres den Verkauf des Landes an Daewoo gestoppt. Neuesten Berichten zufolge scheint dieses Geschäft jedoch nur aufgeschoben, aber nicht gestorben zu sein.

"Wie immer man unsere Landwirtschaft nennen will - familiär oder archaisch, je nach Standpunkt -, die Realität ist die gleiche: Diese Landwirtschaft sorgt für den größten Teil der Produktion in Afrika, diese Landwirtschaft stellt die meisten Arbeitsplätze. Wenn all diese Leute - rund 70% der Bevölkerung Westafrikas - nicht mehr im Landwirtschaftssektor arbeiten, halten wir eine soziale Bombe in den Händen."
(Ndiogou Fall)

In Kenia wehren sich Aktivisten und Naturschützer gegen den Verkauf des fruchtbaren, kaum entwickelten Tana River Delta Landes an Qatar. Der Bau eines Hafens sei unumgänglich, um die wirtschaftlich vernachlässigten trockenen Regionen im Nordosten des Landes zu entwickeln, erklärte Planungsminister Wycliffe Oparanya, und Qatar sei bereit, die Finanzierung des Hafens zu übernehmen: "Wenn wir zur Weltbank gehen, werden die Verhandlungen Jahre dauern und es wird uns gesagt: macht dies, macht jenes. Die kenianische Bevölkerung kann aber nicht so lange auf das dringend benötigte Entwicklungsprojekt warten". Das Delta wird jedoch von Hirten und Kleinbauern bewohnt, die nicht bereit sind, sich von ihrem Land vertreiben zu lassen. "Keiner Regierung ist es bisher gelungen, das Tana River Delta Land in Besitz zu nehmen", sagt Omara Kalasinga, ein lokaler Aktivist, "und keine Gewalt wird uns dazu bringen, das Land Qatar zu überlassen".

Ndiogou Fall, Präsident der westafrikanischen Bauernorganisation ROPPA (Réseau des organisations paysannes et des producteurs agricoles de l'Afrique de l'Ouest) erklärte am 1. Juni in Paris seine absolute Opposition gegen das neokoloniale Projekt: "Ganze Gemeinden werden für die Profitinteressen ausländischer Investoren von ihrem Grundbesitz enteignet. Um das ausländische Kapital zu befriedigen, scheuen sich manche Staaten auch nicht, die Entwaldung weiter voranzutreiben". Der Ausverkauf des fruchtbaren Bodens setze die Zukunft der Jugend aufs Spiel. Der Boden müsse Eigentum der Kommunen bleiben, weil er das einzige Kapital der afrikanischen Bevölkerung sei.

Geschichte der Landnahme

Eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise war die historische Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln. In diesem Prozess, den Karl Marx die ursprüngliche Akkumulation bezeichnete, wurde dem Landvolk Grund und Boden geraubt und feudaler oder gemeinschaftlicher Besitz in privates Eigentum verwandelt, ein Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist und sich in jenen Regionen fortsetzt, in denen es noch Ressourcen gibt - Bodenschätze, Land, Wasser oder "Humankapital", wie die Arbeitskraft der Menschen heute genannt wird -, die noch nicht kapitalistisch verwertet und für Konzerne profitabel nutzbar gemacht worden sind.

Jahrhunderte lang haben sich afrikanische Bauern an die sich ändernden klimatischen Bedingungen angepasst. Aber als die europäischen Mächte ihren Wettlauf um die Kolonisierung Afrikas im 19. Jahrhundert starteten, wurden die traditionellen Methoden des Anbaus und der Herdenhaltung nachhaltig zerstört. Die Europäer betrachteten solche Techniken als unwirtschaftlich und ungeeignet um Exportprodukte für Europa zu produzieren. Sie eigneten sich große Landflächen an, wo sie Plantagen anlegten um Baumwolle, Kaffee, Zuckerrohr oder Kakao anzubauen. Die Monokulturen führten zu einer nachhaltigen Zerstörung der Umwelt, durch die Abholzung der Regenwälder und der damit verursachten Erosion wurde die Ausbreitung der Wüsten gefördert. Bauern und Hirten wurden in immer unfruchtbarere Gebiete abgedrängt, die überweidet und übernutzt wurden.

Jene Bauern, die nicht Opfer der kolonialen Enteignung geworden sind, sahen sich außerstande mit den kommerziellen Agrarkonzernen zu konkurrieren. Viele waren gezwungen entweder auf den Plantagen zu arbeiten oder in die rasch anwachsenden Städte zu abzuwandern. Um den Preis der Arbeitskraft niedrig zu halten und Unruhen zu vermeiden, mussten die Nahrungsmittelpreise niedrig gehalten werden, was auch das Einkommen der Bauern und Bäuerinnen auf niedrigem Niveau hielt.

Die Schuldenspirale

Die Stellvertreterkriege, die in den Zeiten das "Kalten Krieges" in Afrika geführt wurden, ließen die Militärausgaben explodieren, was die Verschuldung vorantrieb. Der Westen lieh auch große Summen an afrikanische Regierungen für große Entwicklungsprojekte wie Staudämme oder die städtische Entwicklung. Auf dem Agrarsektor konzentrierten sich die Investitionen auf große kommerzielle Landwirtschaftsprojekte statt auf eine ausgeglichene Entwicklung, was zu einer weiteren Verschlechterung der Überlebensbedingungen kleiner landwirtschaftlicher Betriebe führte. So genannte Hilfslieferungen, billig verkaufte Agrarüberschüsse aus den USA, leisteten einen weiteren Beitrag zum Preisverfall von Agrarprodukten.

In den späten 1970er und den 1980er Jahren zwangen die sinkenden Rohstoffpreise die afrikanischen Staaten in die Schuldenfalle, worauf ihnen vom Internationalen Währungsfonds "Strukturanpassungsprogramme" auferlegt wurden, die drastische Einschnitte in die soziale Versorgung der armen Bevölkerung und der Mittelklasse mit sich brachten, begleitet von einem Ansteigen der Nahrungsmittelpreise. Die Regierungen wurden zu Maßnahmen gedrängt, den Export von Rohstoffen weiter voranzutreiben.

Der Film Darwins's Nightmare von Hubert Sauper fasst die herrschenden Verhältnisse exemplarisch zusammen: Der räuberische Nilbarsch wurde in den Viktoriasee eingesetzt. Die Fischer sind vom durch Hungersnöte geplagten Land zugewandert. Der Fisch wird in modernen Fabriken von ausgebeuteten ArbeiterInnen verarbeitet, die in von AIDS verwüsteten Elendssiedlungen leben. Die gefrorenen Fischfilets werden mit Flugzeugen nach Europa geliefert, dieselben Flugzeuge kommen voll beladen mit Waffen zurück, um den Kriegen auf dem afrikanischen Kontinent weiteren Zündstoff zu liefern. Währenddessen zerstört der Nilbarsch das Ökosystem des Viktoriasees.

Quelle und weitere Informationen: https://farmlandgrab.org

erschienen in: Talktogether Nr. 29/2009