Brief aus Minneapolis

09.09.2020

Fast den ganzen Juni lang sah Minneapolis aus wie eine Kriegszone. Nun, im Juli, sind die Auswirkungen der Proteste und Randale überall in der Community immer noch zu sehen und zu fühlen: In der ganzen Stadt sind geschlossene Geschäftslokale, in Schutt und Asche gebrannte Gebäude und vernagelte Schaufenster ein gewohnter Anblick geworden. Für viele außerhalb von Minneapolis scheint es fast unverständlich, dass diese höfliche, liberale Stadt fast auf den Boden niedergebrannt worden ist, als Resultat von etwas, das die Tat von vier Personen zu sein scheint. Jedoch, die unmenschliche Ermordung von George Floyd wurde zum Siedepunkt für eine Bewegung, die bereits seit Jahren an Dampf gewonnen hat.

Um tatsächlich zu verstehen, was die Menschen dazu gebracht hat, zu Tausenden auf die Straßen zu gehen, muss man die Geschichte der Polizeibrutalität in Amerika und den systematischen Rassismus hier in Minneapolis verstehen. Die "Black Lives Matter" Bewegung wurde 2013 gegründet, nachdem der 17-jährige Travyon Martin in Florida getötet und sein Mörder freigesprochen wurde. Seit 2013 sind unzählige weitere unbewaffnete und unschuldige schwarze Menschen durch die Hände von Polizisten ermordet worden. 2014, nachdem der 18-jährige Michael Brown vom Polizeibeamten Darren Wilson getötet worden war, erschütterten Proteste und Randale die Stadt Ferguson in Missouri, ähnlich wie es vor einem Monat hier in Minneapolis geschah.

Ein Jahr nach den Protesten in Ferguson wurde der 24-jährige Jamar Clark von zwei Polizisten in Minneapolis ermordet. Die Beamten wurden vom Dienst beurlaubt, aber nicht verurteilt. Dann, 2016, starb in Minnesota der 32-jährige Philando Castile in seinem Auto während einer Verkehrskontrolle. Ein Muster zeichnete sich ab, nachdem alle paar Monate ein neues Video eines Polizeibeamten, der eine schwarze Person rechtswidrig tötete, auftauchte und sich verbreitete. Als Folge der darauffolgenden Proteste wurden die Beamten in bezahlten Urlaub geschickt, aber meist nicht angeklagt oder vom Gericht freigesprochen. Die Morde an Jamar Clark und Philando Castile und die erbärmliche Reaktion darauf waren noch nicht verheilte Wunden, als sich der Tod von George Floyd ereignete.

Mitanzusehen, wie ein schwarzer Mann auf brutale Weise bei hellem Tageslicht von einem weißen Mann getötet wird, der sein Knie auf seinen Nacken drückte, sein Flehen um Gnade zu hören, würde jedes menschliche Wesen erschüttern, erst recht, wenn sich die Verantwortlichen dann noch weigern, die Täter dafür zur Verantwortung zu ziehen. Viele hatten das Gefühl, dass die Zeit für friedliche Proteste vorbei war, zumal keiner zuhörte. Dr. Rev. Martin Luther King hat einmal gesagt: "Randalieren ist die Sprache der Ungehörten", diese Worte wurden nach dem Tod von George Floyd in Minneapolis Realität.

Da ich im Süden von Minneapolis lebe, habe ich die Zerstörung nicht nur gesehen, sondern ich habe in ihr gelebt. Die Bank, das Postamt und viele Lebensmittelläden in der Umgebung meiner Wohnung sind niedergebrannt oder zerstört. Es gab Nächte, in denen ich mich beim Schlafengehen gefragt habe, ob noch etwas von meiner Nachbarschaft übrig sein würde, wenn ich am nächsten Morgen aufwache.

Ich billige die Zerstörung der kleinen Geschäfte nicht, schon gar nicht in den Vierteln der Schwarzen und Farbigen, die diese Versorgung benötigen, aber ich verstehe, dass die Bürger keinen Grund haben, die Gesetze zu achten, wenn ihr Land ihnen die Gerechtigkeit vorenthält. Wenn Polizisten ungestraft unschuldige Menschen ermorden können - Menschen, die so aussehen wie ich - allein wegen ihrer Hautfarbe, warum sollte da noch irgendwer in Gesetze vertrauen?

Nun stellt sich für mich die Frage, wie kommen wir weiter? Wie können wir ein System umstrukturieren, dass seit Jahrhunderten Menschen mit dunkler Hautfarbe unterdrückt? Ja, ich denke, wir sollten damit beginnen, dass wir mit unserem Geld unsere eigenen Münder füttern und es der Polizei entziehen. Das Budget für die Polizei ist ständig angewachsen, statt das Geld in Schulen und öffentliche Sozialprogramme zu stecken.

Die Stadtverwaltung von Minneapolis hat bereits zugestimmt, die Polizei in ihrer derzeitigen Form aufzulösen, aber wir befinden uns noch mitten in einer Debatte, wie das aussehen soll. Organisationen wie "Reclaim the Block" in Minneapolis arbeiten Programme aus, wie das Geld von den Police Departments in Gesundheitszentren und Programme zur Gewaltprävention transferiert werden können. Es wurden auch bereits Schritte unternommen, um Polizeibeamte einem Deeskalationstraining zu unterziehen und in Einrichtungen zur Stärkung der psychischen Gesundheit zu investieren.

Die Debatte, die in Minneapolis begonnen hat, findet in jeder Ecke von Amerika und sogar auf der ganzen Welt statt. Damit ist George Floyd nicht damit nur zum Opfer der Polizeibrutalität, sondern auch zu einem leuchtenden Symbol für die Veränderung geworden. Alles in allem, die Zeit für Gerechtigkeit ist gekommen, und wir freuen uns alle gemeinsam auf eine bessere und hellere Zukunft.

by Mohamed sisters (Übers.: talktogether)


Letter from Minneapolis (Original)

In July, the effects of the protests and riots can still be seen and felt throughout the community. Closed down shop fronts, buildings burnt down to rubble and boarded up windows are now familiar sights throughout the city. For many outside of Minneapolis, it seems almost incomprehensible that this polite, liberal city should be nearly burnt to the ground for what seems like the actions of four people. However, the inhumane murder of George Floyld was the boiling point for a movement that has been gaining steam for years.

To truly understand what brought people to the point of mobilizing thousands to protest, one needs to understand the history of police brutality in America and systemic racism here in Minneapolis. The Black Lives Matter movement was founded in 2013 after 17-year-old Travyon Martin was killed in Florida and his murderer was acquitted. Since 2013, countless more unarmed and innocent black people have been murdered at the hands of the police. In 2014, after 18-year-old Michael Brown was killed by officer Darren Wilson, protests and riots rocked the city of Ferguson, Missouri, similar to what happened a month ago here in Minneapolis. One year after the riots in Ferguson, 24-year-old Jamar Clark was murdered by two Minneapolis police officers. The officers were placed on paid administrative leave and not charged. Then in 2016, 32-year-old Philando Castile died in his car during a traffic stop by a police officer in Minnesota. A pattern began to emerge, where every couple of months or so a new video would resurface of a police officer unlawfully killing a black person and it would go viral. Then after the ensuing protests, the officers would be put on paid leave and then most likely not charged or acquitted by a grand jury. The killings of Jamar Clark and Philando Castile and the city's abysmal response was a wound not fully yet closed when the death of George Floyd occurred.

To see a black man brutally murdered in broad daylight by a white man kneeling on his neck, to hear his pleas for mercy, would sicken any human being, especially when the people in leadership positions refuse to hold them accountable. To many it felt like the time to protest peacefully in the streets were over because no one was listening. Dr. Rev. Martin Luther King once said, "A riot is the language of the unheard" and those words rang true in Minneapolis following the murder of George Floyld. As someone who lives in south Minneapolis, I not only saw the destruction, but lived in it as well. The bank, post office and multiple grocery stores within 5 minutes of my house were burned down or destroyed. There were nights where I went to sleep wondering if there was going to be anything left of my neighborhood when I'd wake up. I don't condone the destruction of small businesses, especially ones in black and brown neighborhoods who need the resources, but I also understand that when a country fails its citizens, the citizens have no reason to uphold any laws. When the police are murdering innocent people, people who look like me, for no other reason then, besides their skin colour, why should anyone have to continue following the rules?

So, the question now is how do we move forward? How do we restructure a system that's been oppressing black people and people of colour for centuries? Well, we should start by putting our money where our mouth is and defunding the police. The budget for policing has only been going up when we should be allocating those millions of dollars to schools and public programs. The Minneapolis city council has already voted to disband the police, but we are still having conversations on what that looks like. Organizations like Reclaim the Block in Minneapolis are working to reallocate money from the police department to bolstering community health and violence prevention programs. Another step being taken is changing police training to be geared towards de-escalation and investing in mental health training. The conversations started in Minneapolis are taking place in every part of America and even across the world. George Floyd has become more than a victim of police brutality but a beacon of change. All in all, the time for justice has come and we are all looking forward to a better and brighter future, together.

veröffentlicht in Talktogether Nr. 73/2020

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