Gola Zareen – Die goldene Kugel

08.08.2012

Anlässlich der Fußball-WM 2010 in Südafrika machten sich die österreichischen Filmemacher Christian Krönes und Florian Weigensamer auf die Reise in den Nordosten Pakistans. In Sialkot, einer alten Industriestadt in der bevölkerungsreichen Provinz Punjab, werden fast drei Viertel aller handgenähten Fußbälle für den internationalen Markt hergestellt. Vierzig Millionen Bälle gehen alljährlich in den Export. Ein Großteil der EinwohnerInnen von Sialkot lebt direkt oder indirekt von der Fußballproduktion. Doch ihre Existenzgrundlage ist durch industriell gefertigte Fußbälle aus China und Thailand bedroht.

Die Arbeiterinnen wiederholen die immer gleichen Handgriffe: Zwei Nadeln werden durch vorgestanzte Löcher gestoßen, und danach wird die Naht mit einem kräftigen Ruck fest zugezogen. "Es ist eine schwere Arbeit", erzählt eine junge Frau im mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm Gola Zareen. "Ich nähe jetzt schon seit vier Jahren, mit meiner Erfahrung fällt es mir leichter, aber es ist anstrengend. Man braucht sehr viel Kraft." Drei bis vier Bälle kann eine Näherin am Tag fertigen, dafür erhält sie pro Stück umgerechnet ca. 40 Cent. In den Sportgeschäften Europas werden die Bälle um 25 bis 130 Euro verkauft.

Kampagne gegen Kinderarbeit

Der Beginn der Sportartikelindustrie in Sialkot reicht bis in die Kolonialzeit zurück. Bereits im 19. Jahrhundert wurden Sportartikel für die dort stationierten britischen Soldaten repariert. Später gingen heimische Werkstätten dazu über, Sportartikel selbst herzustellen. In den 1970er Jahren konnten sich lokale Firmen den Vertrag für den WM-Ball "Tango" sichern, was dazu führte, dass sich Sialkot zu einem Zentrum der globalen Sportartikelindustrie entwickelte.

Sportartikelkonzerne wie Adidas, Nike oder Puma beauftragen verschiedene Subunternehmen in Pakistan. Außerdem gibt es eine Vielzahl von städtischen Kleinbetrieben und Werkstätten im Großraum Sialkot, die meist auf einen einzigen Fertigungsschritt spezialisiert sind und Auftragsarbeiten für Großbetriebe ausführen. Früher wurden bei der Fußballherstellung auch zahlreiche Kinder beschäftigt. Weil die Sportartikelhersteller dadurch in die Kritik kamen, haben sich die meisten Fußballproduzenten im Atlanta-Abkommen 1997 dazu verpflichtet, auf Kinderarbeit zu verzichten. Um die Kontrollen zu erleichtern, wurde die Heimarbeit verboten, und Nähzentren wurden eingerichtet. Doch das hat die Situation der Kinder nicht verbessert. "Die Bevölkerung ist bitterarm, sie braucht Kinderarbeit", erzählt Jean Ziegler im Film. "Die Kinder werden nun eben in die Steinbrüche und in die Ziegeleien geschickt, wo die Arbeitsbedingungen noch schlimmer sind, aber dort gibt es kein Atlanta-Abkommen."

Trotz der niedrigen Löhne nimmt der Druck auf Sialkots Betriebe ständig zu. Thermogeschweißte und maschinengenähte Bälle werden aufgrund technischer Neuerungen qualitativ immer hochwertiger und billiger. Doch nur wenige einheimische Fabrikanten haben genug Kapital, um in solche Technologien zu investieren. Wenn sich die maschinellen Verfahren durchsetzen - was wohl nur eine Frage der Zeit ist - werden tausende Menschen in Sialkot ihre Existenzgrundlage verlieren. Schon jetzt gibt es immer weniger Jobs für Näher und Näherinnen. Ende 2006 musste Saga Sports, der größte Arbeitgeber von Sialkot, seine Tore für immer schließen, weil der Sportartikelhersteller Nike die Verträge kündigte und die Produktion nach China verlagerte.

Der Ball ist nicht für alle aus Gold

Ob sie Arbeit haben und überleben können, liegt nicht in den Händen der BewohnerInnen von Sialkot. Sie haben keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Konzerne darüber, ob sie die Produktion weiterführen oder an einen anderen Ort verlagern, wenn sie das als notwendig erachten, um ihre Profite zu sichern. Die Konkurrenz zwingt jeden Fabrikanten zur Vervollkommnung der Maschinerie - gleichbedeutend mit stets steigender Außerdienstsetzung von Arbeitern - sowie zur schrankenlosen Ausdehnung der Produktion, schrieb Friedrich Engels 1880; die Folge sei "Überfluss hier, von Produktionsmitteln und Produkten, Überfluss dort, von Arbeitern ohne Beschäftigung und ohne Existenzmittel." [1]

Gola Zareen bedeutet goldene Kugel. Für manche ist die diese Kugel wirklich Gold wert, sie hat ihnen zu Reichtum und Ruhm verholfen. Für andere dagegen bedeutet sie einfach Überleben. Der Film zeigt am Beispiel eines einzelnen Produkts in beklemmender Weise die Abhängigkeit der Menschen vom globalen Kapital auf. Er zerstört dabei auch die Illusion, mit Maßnahmen wie dem Verbot der Kinderarbeit, die vor allem dazu dienen, das Image der Firmen zu verbessern und das Gewissen der KonsumentInnen zu beruhigen, nachhaltige Verbesserungen der Lebensbedingungen der Menschen erwirken zu können.

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https://www.blackboxfilm.at/blackbox/project/gola-zareen/

[1] Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft; MEW 19, S. 227f.

veröffentlicht in Talktogether Nr. 41/2012