Gespräch mit simon INOU, Journalist und Medienkritiker

TT: Du bist als Journalist in Österreich tätig. Hast du auch schon in Kamerun als Journalist gearbeitet?
INOU: Ich habe in Kamerun Soziologie studiert und schon während meines Studiums in Douala für die erste unabhängige Zeitung des Landes "Le Messager" geschrieben.
TT: Wie war es für dich, in der österreichischen Medienbranche Fuß zu fassen? Mit welchen Herausforderungen warst du konfrontiert?
INOU: Die erste Herausforderung war die Sprache. In Kamerun sprechen wir zwei koloniale Sprachen, Französisch und Englisch. Aber keine davon ist Amtssprache in Österreich, also musste ich Deutsch lernen und habe mich an der Uni Wien eingeschrieben. Am Anfang habe ich Artikel auf Französisch und Englisch geschrieben, und die Zeitungen haben die Texte, die für sie interessant waren, ins Deutsche übersetzt. So habe ich in der Branche Fuß gefasst. Ich habe auch bald festgestellt, dass es in Österreich keine Diversität im Medienbereich gegeben hat. Und so habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, mich mit dem Thema intensiver auseinanderzusetzen.
TT: Für welche Medien bist du tätig?
INOU: Einerseits schreibe ich für verschiedene Zeitungen. Mein erster Text wurde in einer Zeitschrift der Erzdiözese Wien veröffentlicht. Dann habe ich als freier Journalist eine Kolumne für den Kurier geschrieben. Meine erste ständige journalistische Arbeit war die als Chefredakteur bei Radio Afrika, ein Projekt von Alexis Neuberg auf ORF MW 1476 kHz. Zugleich habe ich für die Wiener Zeitung die Afrika Beilage gestaltet, die von 1998 bis 2004 einmal im Monat erschienen ist. Nachdem sie eingestellt worden war, war ich verantwortlich für eine Seite, die sich "Tribüne der Welt" nannte.
Ich habe dann begonnen, mich intensiv mit der Darstellung von Migration in den österreichischen Medien zu befassen und den Verein M-Media gegründet, der sich das Ziel gesetzt hat, die Diversität in den österreichischen Medien zu fördern. Ich habe Menschen aus verschiedenen migrantischen Communities zusammengebracht und mit ihnen eine Medienmesse organisiert, auf der sie ihre Medien präsentieren konnten. Parallel habe ich eine Seite für die Tageszeitung "Die Presse" redaktionell gestaltet. Das Projekt hieß "Migrantinnen schreiben für die Tageszeitung Die Presse". Auf dieser Seite haben wir uns jede Woche zu den verschiedensten Themen positioniert. Das war meine intensivste Zeit im österreichischen Journalismus. Ich bin noch immer sehr aktiv und schreibe Kommentare oder Gastkommentare für mehrere nationale und internationale Zeitungen. Am liebsten ist es mir, wenn die Themen brennend heiß sind. Ja, und außerdem bin ich in der Antirassismus-Arbeit engagiert.
TT: Damit kommen wir zur nächsten Frage, die du zum Teil schon beantwortet hast: Welche Themen beschäftigen dich besonders?
INOU: Ich beschäftige mich mit Diversität, vor allem Diversität im österreichischen Journalismus. Außerdem schreibe ich über Innenpolitik und klarerweise auch über Afrikapolitik und die sogenannte Dekolonisierungspolitik, in der es um die Beziehungen Europas zu den ehemaligen Kolonien geht.
TT: Warum ist es wichtig, sich heute noch mit Dekolonialisierung beschäftigen – auch in Österreich?
INOU: Österreich kann nicht behaupten, nichts mit dem Kolonialismus zu tun zu haben, weil es ein europäisches Land und damit Teil des Kontinents ist, der Afrika kolonisiert hat. Außerdem hat Österreich vom Kolonialismus direkt und indirekt profitiert. Die Kolonisierung hat auch bis heute viele Spuren hinterlassen, in der Bildung zum Beispiel. Wenn wir uns die Schulbücher anschauen, sehen wir darin viele vom Kolonialismus geprägte Inhalte und Bilder. Österreich hat diese Inhalte und Normen übernommen, ohne sie zu hinterfragen.
Und man muss sich nur die österreichischen Museen anschauen: Diese sind voller Objekte, die aus den Kolonien hierhergebracht worden sind, wie die Krone von Moctezuma aus Mexiko oder die Benin-Bronzen im Weltmuseum Wien. Es gibt eine Auseinandersetzung über die Rückgabe dieser Kunstschätze an die Herkunftsländer, doch das Museum hat sich bis jetzt geweigert, das zu tun, weil sie damit viele Gäste anziehen.
Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, hat Österreich Anteil an der Kolonialgeschichte, sich aber damit nie auseinandergesetzt. Ich habe vor einigen Jahren den Historiker Walter Sauer auf einer kleinen Studie begleitet, in der er die Schicksale von Afrikanerinnen und Afrikanern im Konzentrationslager Mauthausen dokumentiert hat. Die Verfolgung im Nationalsozialismus hat nämlich nicht nur mit jüdischen Menschen zu tun, sondern auch mit den Afrikanern, die für die Befreiung Europas gekämpft haben. Es gibt in der Geschichte Österreichs also viele direkte und indirekte Verstrickungen mit dem Kolonialismus.
TT: Welche direkten Verstrickungen hat Österreich mit dem Kolonialismus?
INOU: Es gibt viele österreichische Firmen, die mit Kolonialwaren gehandelt haben, nehmen wir nur das Beispiel von Julius Meinl. Wir haben jahrelang gegen das rassistische Logo gekämpft. Österreich hatte kurzzeitig sogar Kolonien, und bis heute sind österreichische Firmen in Afrika aktiv. Die ÖMV hat Jahre lang gute Geschäfte in einer Bürgerkriegsregion im Sudan gemacht, bis Aktivistinnen und Aktivisten die Firma gezwungen haben, das Projekt aufzugeben. Auch mit Gaddafi in Libyen hat Österreich immer gut zusammengearbeitet. Deswegen denke ich, dass kein europäisches Land von sich behaupten kann, nichts mit dem Kolonialismus zu tun zu haben. Sie haben alle davon profitiert, direkt und indirekt.
Bei den österreichischen Antirassismus-Tagen habe ich Elfriede Windischbauer von der Pädagogischen Hochschule Salzburg kennengelernt, die in Bezug auf Menschenausstellungen forscht und hervorragende Arbeit leistet. Sie hat festgestellt, dass es in Salzburg noch bis 1951 Menschenschauen gegeben hat, in denen Menschen aus Afrika zur öffentlichen Belustigung vorgeführt wurden. Genau das hat mit dem kolonialistischen Weltbild zu tun. Deshalb finde ich die Behauptung, Österreich habe nichts mit Kolonialismus zu tun, nicht akzeptabel. Es sollte auch nicht nur die Aufgabe von uns Afrikanerinnen und Afrikanern sein, uns mit Dekolonialisierung auseinanderzusetzen, sondern auch die der Österreicher und Österreicherinnen.
Fotos: minittaphotography.com
TT: Ein weiteres großes Thema ist der Rassismus. 2020 hat
es in Österreich, auch hier in Salzburg, sehr große Black-
Lives-Matter-Demos gegeben. Welche Auswirkungen hatten diese Demos aus deiner
Sicht?
INOU: Ich denke, diese Bewegung hat für Österreich eine sehr große Bedeutung. Wir müssen nur zurückblicken auf das Jahr 1999, als Marcus Omofuma beim Abschiebeflug von Wien und Sofia von Polizeibeamten getötet worden ist. Damals gab es auch eine große Demo in Wien, an der sich auch eine Reihe von österreichischen Organisationen beteiligt hat. Und dann gab es die "Operation Spring" der österreichischen Polizei in den Jahren 1999 und 2000. Im Zuge dieser Operation wurden zahlreiche Menschen afrikanischer Herkunft festgenommen und beschuldigt, Drogendealer zu sein. Die Berichterstattung in den Medien hat auch ihren Teil dazu beigetragen, dass Afrikaner und Afrikanerinnen in Österreich unter Generalverdacht gestellt wurden. Jahrelang sind Menschen aus Afrika verdächtigt worden. Das habe ich selbst zu spüren bekommen, weil auch meine Wohnung durchsucht wurde.
Und dann ist 2020 in den USA George Floyd von einem Polizisten getötet worden. Die weltweite Empörung darüber hat dazu geführt, dass wir auch in Österreich innerhalb einer Woche hunderttausend Menschen auf der Straße gesehen haben – das sind die Statistiken der Polizei. Die globalen Proteste haben dazu geführt hat, dass auch viele österreichische Firmen und Institutionen begonnen haben, sich mit den Themen Antirassismus und Diversität auseinanderzusetzen. Unsere Gesellschaft hat sich sehr verändert, weil die Diskussion um Antirassismus nicht nur mehr von Afrikanerinnen und Afrikanern geführt wird.
Man kann sagen, diese Demos waren der Beginn der antirassistischen Bewegung in Österreich. Jetzt gibt es Leute, die aufpassen, ob abwertende oder diskriminierende Begriffe oder Darstellungen verwendet werden. Gleichzeitig ist es enttäuschend, dass auch die rechtsextremistischen Kräfte stärker geworden sind, nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa. Dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren.
Wir können in Österreich nicht darauf warten, dass nur die vom Rassismus Betroffenen etwas tun, die Gesamtgesellschaft muss aktiv werden. Weil wir alle betroffen sind. Wir dürfen nicht den Fehler machen, zu glauben, dass nur schwarze Menschen von Rassismus, Diskriminierung und Abwertung betroffen sind. Wenn du mit mir fühlst, dann bist du auch betroffen. Wenn du etwas Menschenverachtendes siehst, wenn du mitbekommst, wie jemand beleidigt oder diskriminiert wird, fühlst du dich auch betroffen und wirst etwas tun. Deswegen ist es wichtig, dass wir nicht in unseren Ghettos bleiben, sondern zusammenarbeiten.
TT: Wie beurteilst du die aktuellen Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent?
INOU: Ich kann nur das Beispiel von Kamerun nehmen. Die Sozialen Medien haben vieles verändert. Als ich in Kamerun studiert habe, haben uns sehr oft die Informationsquellen gefehlt. Es fehlten uns die Bücher, die nur in europäischen Bibliotheken zugänglich waren. Deshalb habe ich eine Twitter-Seite über die Geschichte von Kamerun erstellt. Diese Seite hat inzwischen über 50.000 Follower, was mich sehr überrascht hat. Ich habe auch begonnen, Literatur aus verschiedenen Institutionen und Universitäten zu sammeln und eine Online-Bibliothek aufzubauen. So kann ich hier in Österreich etwas beitragen, dass die jüngere Generation in Afrika Zugang zu Wissen hat, was früher oft nicht oder nur Privilegierten möglich war.
Darüber hinaus möchte ich mit meinen Artikeln und Posts über aktuelle Entwicklungen und Ereignisse in Afrika den Menschen ein differenziertes Bild über den Kontinent präsentieren, das über die koloniale Sichtweise hinausgeht. Sich von der kolonialen Mentalität zu befreien, sehe ich als sehr große Aufgabe an, denn seit mehr als 500 Jahren werden Fehlinformationen verbreitet, und es wird lange dauern, diese zu korrigieren. Auch in den afrikanischen Ländern haben wir damit ein massives Problem. Viele Leute glauben, dass das Geld in Europa leicht zu haben ist, und wenn du auf Urlaub nach Afrika fährst und kein Geld mitbringst, bekommst du ein Problem mit deiner Familie. Deswegen ist es wichtig, dass wir sagen, liebe Leute, nein, so ist das nicht, für das Geld muss man hart arbeiten.
TT: Es gibt jetzt einige afrikanische Länder, die sich von ihren ehemaligen Kolonialmächten abwenden. Wie beurteilst du diese Bestrebungen?
INOU: Viele Afrikanische Länder haben vor 65 Jahren formell die Unabhängigkeit erlangt, doch sie sind leider noch immer nicht unabhängig. Es gibt 14 afrikanische Länder, die den CFA-Franc als Währung verwenden – eine Währung, die heute noch von Frankreich verwaltet wird. Das heißt konkret, wenn ich in Kamerun eine Firma habe und meinen Kakao verkaufe, kommt das Geld nicht direkt zu mir, sondern geht zuerst an die Französische Nationalbank, die dann bestimmt, wann ich das Geld bekomme. Und dann reden wir über Unabhängigkeit? Das ist doch eine Lüge. Deswegen denke ich, dass die Regierungen von Ländern wie Burkina Faso, Niger und Mali verstanden haben, dass es an der Zeit ist, dass die Afrikaner und Afrikanerinnen ihre Zukunft in die eigene Hände nehmen. Auch auf die Gefahr hin, dass wir Fehler machen, denn es ist besser, wenn wir unsere eigenen Fehler machen und daraus lernen können, statt darauf zu warten, bis Frankreich kommt und uns sagt, was gut für uns ist.
veröffentlicht in Talktogether Nr. 93/2025
