Gespräch mit Renate Fuchs-Haberl

14.02.2021

TT: Du beschäftigst dich mit moderner Matriarchatsforschung. Was ist darunter zu verstehen?

Renate: Die Matriarchatsforschung beschäftigt sich mit den sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturell-spirituellen Strukturen von Gesellschaften, die es in der Vergangenheit gegeben hat und die es teilweise noch heute gibt. Moderne Matriarchatsforschung heißt sie, weil es auch eine traditionelle Matriarchatsforschung gibt, die im 19. Jahrhundert von Johann Jakob Bachofen begründet wurde. Dieser hat 1861 das Buch "das Mutterrecht" geschrieben, das jedoch eher nur gebildeten Kreisen bekannt ist. In der früheren Matriarchatsforschung dominiert zudem noch die Sicht des weißen Mannes auf andere Kulturen. Die moderne Matriarchatsforschung beinhaltet außerdem auch eine Patriarchatskritik, also die kritische Betrachtung der Gesellschaftsform, in der wir heute leben, und das ist für mich das Entscheidende.

TT: Woran erkennt man ein Matriarchat? Heißt es, dass die Frauen die Männer beherrschen?

Renate: Matriarchate sind keine Umkehrung des Patriarchats, wie dies oft behauptet wird. Patriarchat wird richtigerweise übersetzt als die Herrschaft der Väter - die es früher auch war -, heute müsste man sagen, die Herrschaft einiger weniger Männer und Konzerne. Die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Wortes arché ist jedoch Anfang oder Ursprung. Somit bedeutet das Wort Matriarchat "am Anfang die Mütter". Und es ist eine biologische Tatsache, dass am Beginn jedes Lebens eine Mutter steht - ob nun eine Menschenfrau, eine weibliche Tiermutter oder die Erde als Mutter der Natur. Heide Göttner-Abendroth, die im deutschsprachigen Raum die moderne Matriarchatsforschung begründet hat, hat sich dafür ausgesprochen, beim Begriff Matriarchat zu bleiben, anstatt ihn durch andere Wortkonstruktionen zu ersetzen, die für viele Menschen unverständlich sind. Den Begriff Matriarchat dagegen haben die meisten zumindest schon einmal gehört, da habe ich dann schon einen Fuß in der Türe und kann erklären, dass es sich dabei nicht um eine Frauenherrschaft handelt.

TT: Gibt es auch in unserer Region noch Spuren, die auf eine einstige matriarchalische Kultur hinweisen?

Renate: Diese Spuren im heimischen Brauchtum und in den Sagen ausfindig zu machen, ist meine Hauptleidenschaft. Dazu ist im Alpenraum und speziell im Salzburger Raum sehr viel zu finden. Die katholische Kirche hat jedoch viele vorchristliche Mythen und Legenden umgedreht. Ein spannendes Beispiel ist für mich das Perchtenbrauchtum, vor allem die traditionelle Form, wie sie in den Gauen praktiziert wird. In der Frau Percht lebt die jungsteinzeitliche Göttin weiter. Percht kommt vom Althochdeutschen perachta und bedeutet hell, strahlend, glänzend. Frau Percht kommt mit der Kraxen, in der sie im Frühling das neue Leben bringt. Einerseits hoffen alle, dass am 5. oder 6. Jänner, am Ende der Rauhnächte, die Perchten kommen und die Frau Percht einkehrt, weil es Glück bringt. Andererseits gibt es Sagen, in denen es heißt, sie würde die schlimmen Kinder bestrafen und in der Kraxen mitnehmen, oder sie würde den faulen Hausfrauen den Bauch aufschneiden und den Kehricht hineinstecken. Man hat die Symbolik der Kinderschenkerin umgekehrt in etwas Negatives und Furchterregendes. Hier erkennt man, wie das Christentum die alte Göttin dämonisiert hat, die es nicht verdrängen konnte. Die sanften Eigenschaften der Göttin wurden auf die Madonna mit dem Kind übertragen, und alles was nicht in dieses Konzept gepasst hat, lebt im Brauchtum weiter. Ich bin dankbar dafür, dass wir auf der kulturellen, spirituellen und schamanischen Ebene hier einen so reichen Schatz haben.

TT: Gibt es hier nicht eine Parallele zu Bachofen, der ja auch die Mythen analysiert hat und deshalb von vielen nicht ernst genommen wurde?

Renate: Viele tun Sagen und Mythen als Märchen ab, doch darin entdecken wir unsere eigene Kulturgeschichte, und zwar die des Volkes. Wer hat denn unsere Geschichte aufgeschrieben? Es waren die Herrscher, die Mönche, die schreiben konnten. Doch das ist männliche Geschichte, Geschichte von oben. Die Sagen und Mythen geben uns dagegen Einblicke in die Geschichte des Volkes, in die Geschichte der Frauen.

TT: Wie bist du dazu gekommen, dich mit diesem Thema zu beschäftigen? Was war deine Motivation?

Renate: Die Rechte der Frauen und die Rechte der Kinder waren mir immer schon ein Anliegen. Als meine Kinder noch klein waren, habe ich mich in Stillgruppen und Mutter-Kind-Gruppen engagiert. Unter unserem heutigen Gesellschaftssystem leiden aber auch die Männer, es geht niemanden wirklich gut. In unserem patriarchalen System wird alles ausgenutzt und ausgebeutet, meist auf Kosten des Weiblichen: angefangen von der Mutter Erde bis hin zum mütterlichen Prinzip. So wird die Arbeit in der Pflege, die Care-Arbeit und alles, was mit dem Mütterlichen und Sorgenden zu tun hat, minder bewertet. Im Gegensatz dazu genießen diese Tätigkeiten in einem matriarchalen System einen hohen Stellenwert. Es ist der Wunsch, einen Weg zu finden, wie wir alle auf dieser Erde ein gutes Leben führen können, ohne ausgebeutet zu werden, der mich dazu antreibt und dazu motiviert, Bewusstseinsarbeit zu leisten.

TT: Was ist der Unterschied zwischen Matriarchatsforschung und Feminismus?

Renate: Die Matriarchatsforschung ist Gesellschaftsforschung, während sich der Feminismus mit der Stellung der Frau innerhalb des patriarchalen Systems beschäftigt. Auch wenn wir Frauen ein bisschen mehr vom Kuchen bekommen und ein paar Rechte mehr haben, sind es nur Stücke des patriarchalischen Kuchens, um den wir kämpfen, aber kein matriarchaler Mutterkuchen, der an alle fair verteilt wird. Aus meiner Sicht brauchen wir ein völlig neues Weltbild. Es gibt heute verschiedene feministische Strömungen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten beschäftigen, da tut sich schon sehr viel. Aber es gibt immer noch viel zu wenig Wissen über matriarchale Gesellschaftsformen. Um nicht missverstanden zu werden: Ich stelle mich nicht gegen den Feminismus, denn wir brauchen beides, das ist keine Frage.

Was mich persönlich an der Matriarchatsforschung anspricht, ist, dass auch die Spiritualität ein Thema ist, die ja beim politischen Feminismus, zumindest wie wir ihn hierzulande erleben, keine Rolle spielt. Wenn man über Spiritualität redet, wird man schnell als "Eso-Tante" abgestempelt. In unserer Gesellschaft gibt es viele Bewegungen, die sich auf wirtschaftlicher, politischer und sozialer Ebene für einen gesellschaftlichen Wandel einsetzen, jedoch die spirituelle Ebene fehlt. Spiritualität bildet jedoch die Basis matriarchaler Gesellschaften.

Wir haben hier den katholischen Glauben mit einem männlichen Gott, in dem der Frau nur die Rolle der Gebärerin und Dienerin zugestanden wird. Bibelsprüche wie "die Frauen sollen unter Schmerzen gebären", oder die absurde Geschichte, dass die Frau aus der Rippe des Mannes entstanden sei, zeigen doch, welcher Gehirnwäsche die Menschen unterzogen worden sind. Menschen, die das Bedürfnis nach einer anderen Form von Spiritualität haben, wenden sich deshalb oft fremden Kulturen zu oder landen in der Esoterik, wo sich aber auch patriarchale Strukturen verbergen, vielleicht ein bisschen lichtvoller verpackt. An der Matriarchatsforschung fasziniert mich vor allem, dass sie unser kulturelles und spirituelles Weltbild hinterfragt. In den patriarchalen Kulturen werden Frauen als unrein oder unwürdig betrachtet, während in matriarchalen Kulturen das Weibliche als göttlich betrachtet wird, weil es die Frauen sind, die das neue Leben schenken.

TT: Was verstehst du unter Spiritualität?

Renate: Für mich bedeutet Spiritualität, dass alles beseelt ist. Eine matriarchalische Spiritualität richtet sich nicht an einen unsichtbaren Gott, der von uns getrennt ist, sondern sieht das Göttliche in allem: in den Menschen, in den Tieren und Pflanzen, im Planeten, in der Mutter Meer, im Weltall.

TT: Ist diese Trennung von Mensch und Natur nicht eine wesentliche Ursache für die Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind?

Renate: Ja, der biblische Auftrag, "macht euch die Erde untertan" wurde ja von den Kirchenleuten und anderen Jahrhunderte lang brav erfüllt, und so brauchen wir uns nicht wundern, in welchem Zustand unsere Erde heute ist. Die matriarchale Spiritualität erschüttert jedoch die Grundfeste dieses Weltbildes.

TT: Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen patriarchalen und matriarchalen Gesellschaften?

Renate: Hierarchien sind wesentliche Merkmale patriarchaler Gesellschaften, die es in matriarchalen Gesellschaften nicht gibt. Matriarchale Gesellschaften haben auch kein organisiertes Kriegswesen, was manche patriarchal-geprägte Archäologen erstaunt hat, da sie bei Ausgrabungen keine Befestigungsanlagen gefunden haben. Sie bringen ein Weltbild ins Wanken, das behauptet, dass die Gewaltbereitschaft den Männern angeboren sei. Wer Männer in matriarchalen Kulturen betrachtet, erkennt jedoch, dass diese Gewaltbereitschaft sozialisiert und nicht angeboren ist. Matriarchale Gesellschaften haben ein völlig anderes Männerbild. Bei den Minangkabau in Sumatra beispielsweise wird derjenige zum Sprecher eines Clans gewählt, der sich wie eine gute Mutter verhält. Was für ein Gegensatz zu unseren "Häuptlingen"! Viele Männer empfinden die Erkenntnis als sehr befreiend, dass sie keine "Weicheier" sein müssen, nur weil sie sich nicht mit Kampf und Ellbogen behaupten wollen, und dass matriarchale Strukturen keine Bedrohung für sie sind, wie es oft dargestellt wird, sondern nur für das patriarchale System, in dem es den meisten eh nicht gut geht.

TT: Es geht also nicht um den Gegensatz der Geschlechter, sondern um ein gesellschaftliches Prinzip, das nicht auf Konkurrenz aufgebaut ist?

Renate: Ja genau, weil wir Frauen im Patriarchat ja auch dieselben Methoden anwenden wie die Männer. Die Konkurrenz zwischen Frauen, sei es im Arbeitsleben oder wenn es um den einen Mann geht, erleben wir doch in allen Facetten. Bei der Patriarchatskritik geht es darum, zu erkennen, dass wir uns nicht deshalb so verhalten, weil wir Frauen halt "stutenbissig" sind, sondern weil die patriarchalische Gesellschaft solche Verhaltensweisen fördert. Wenn wir Frauen uns solidarisieren und auch die Männer mitnehmen, würde diese ganze Macht- und Hierarchiestruktur zusammenbrechen.

Die Unterschiede zwischen den patriarchalen und matriarchalen Gesellschaftsformen zeigen sich auf allen Ebenen, zum Beispiel auf der wirtschaftlichen. Im Patriarchat geht es darum, dass einige wenige auf Kosten anderer immer mehr Reichtum anhäufen, während matriarchale Kulturen eine Ökonomie des Schenkens und Verteilens praktizieren. Die Person, die am meisten an die Gemeinschaft gibt, hat den höchsten sozialen Status. Der Clan, der die beste Ernte hat, richtet das nächste Fest aus, um die anderen an seinem Erfolg teilhaben zu lassen. So wird darauf geachtet, dass der Reichtum gleichmäßig verteilt wird und keine Ungleichheiten entstehen.

Matriarchale Kulturen haben auch ein anderes Familienmodell. Sie leben nicht in einer Kleinfamilie, die sich aus Mutter, Vater und Kindern zusammensetzt, sondern im Clan der Mutter, der wirtschaftliche und soziale Absicherung bietet. Während die Vaterschaft im Patriarchat sehr zentral ist, spielt sie im Matriarchat eine untergeordnete Rolle. Der leibliche Vater hat heutzutage zwar meist Kontakt zu seinen Kindern, ihnen gegenüber aber keine wirtschaftliche Verpflichtung. Diese Verantwortung tragen die Mutterbrüder, denn eine Blutsverwandtschaft besteht nur in der weiblichen Linie. Diese Bindung bleibt stabil, auch wenn sich eine Liebesbeziehung auflöst. Kinder bezeichnen oft nicht nur ihre leibliche Mutter, sondern auch deren Schwestern als Mütter. Ein matriarchaler Mann hat einmal auf einem Kongress gesagt, dass er es nicht versteht, wie man im Patriarchat etwas so Wichtiges wie die Zukunft der Kinder auf etwas so Unstabiles wie Liebe und Sexualität aufbaut. Eine strenge Monogamie, wie es das Patriarchat einzuführen versucht hat - zumindest für die Frauen, für die Männer hat es eh nie gegolten - gibt es im Matriarchat auch nicht.

Angesichts dieser matriarchalen Sozialstrukturen erübrigen sich viele Probleme, die wir in unserer Gesellschaft haben: die vereinsamten alten Menschen, die Kinder, die irgendwo in Betreuung geschickt werden müssen, die überforderten Alleinerzieherinnen, die Menschen, die sich vergeblich Kinder wünschen ... Da haben uns matriarchale Kulturen einiges voraus. Aber natürlich gibt es soziale Spielregeln, die eingehalten werden müssen. Aber auch in unserer Gesellschaft haben wir viele Zwänge. Wenn ich nicht in die Arbeit gehe, habe ich kein Einkommen, wobei die meiste Wertschöpfung nicht bei denen landet, die die Arbeit leisten, sondern anderswo. Matriarchale Kulturen dagegen setzen auf Subsistenz, das heißt, dass sich die Regionen in erster Linie selbst versorgen und nur Überschüsse in den nationalen Handel gehen. So müssen die Menschen weniger arbeiten, um sich und ihren Angehörigen ein gutes Leben zu ermöglichen.

TT: Viele Forscher haben ja auch den Zusammenhang zwischen dem Patriarchat und der Einführung des Privateigentums aufgezeigt ...

Renate: In matriarchalen Kulturen gibt es kein Privateigentum in unserem Sinne, weil der Reichtum dem ganzen Clan gehört und an die kommenden Generationen weitergegeben wird. Die ganzen Erbstreitigkeiten, die es bei uns gibt, würden alle wegfallen. Im Patriarchat erstreckte sich der Privatbesitz bis vor kurzem auch nicht nur auf die materiellen Güter, sondern auch auf Personen, auf die Ehefrau und die Kinder. Das patriarchale Besitzdenken des Mannes offenbart sich auch in den vielen Frauenmorden, die täglich stattfinden. Daran erkennt man, welche dramatischen Folgen der Privatbesitz und das damit verbundene Besitzdenken für die Menschen nicht nur auf der wirtschaftlichen, sondern auch auf der persönlichen Ebene hat. Im Matriarchat dagegen werden Privatbesitz, das Anhäufen von Reichtum und Besitzdenken verhindert.

Auch auf der politischen Ebene unterscheidet sich das matriarchale System grundlegend. Wir geben bei der Wahl unsere Stimme ab und haben danach nichts mehr mitzureden. In matriarchalischen Kulturen herrscht dagegen das Konsensprinzip, sprich die Einstimmigkeit. Dann gibt es auch keine überstimmte Minderheit, die mit der Entscheidung unzufrieden ist und dann querzutreiben versucht. Die kleinste Zelle ist dabei der Clan. Jeder Clan hat Delegierte, die den Clan auf einer höheren Ebene - zum Beispiel im Dorfrat - vertreten, diese sind jedoch nur Sprecher*innen und haben keine Entscheidungsbefugnis. Diese Art von Entscheidungsfindung funktioniert erstaunlicher Weise sehr rasch und unkompliziert, weil die Menschen in diesem System sozialisiert sind.

TT: Bei uns stellt sich das Einstimmigkeitsprinzip aber oft als sehr mühsam heraus ...

Renate: Das stimmt, diese Erfahrung habe ich auch gemacht. Wir sind einfach anders sozialisiert, deshalb ist das für uns so schwierig. Ein Umdenken und Umformen ist halt ein Prozess, der nicht von heute auf morgen geht, und bei dem man in längerfristigen Dimensionen denken muss. Doch jeder Versuch bringt uns ein Stückchen weiter, auch wenn er scheitert. Aber wenn Kinder in solchen Strukturen groß werden können, wird es für sie normaler. Gesellschaften verändern sich ja ständig. Gerade im Hinblick auf die Gleichberechtigung der Geschlechter ist heute vieles Realität geworden, was vor 50 Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre.

TT: Müsste sich da nicht auch vieles in der Erziehung, in den Schulen ändern?

Renate: Im Schulsystem ist zweifellos vieles veraltet und müsste dringend erneuert werden. Aber ich habe das Gefühl, dass gerade eine neue Generation von Lehrer*innen an die Schulen kommt, und bin zuversichtlich, dass sich dadurch vieles verändern wird. Auch die aktuelle Corona-Situation zeigt uns auf, dass wir nicht so weiter machen können wie bisher. Wahrscheinlich muss aber zuerst vieles zusammenbrechen, damit wir darauf - hoffentlich - etwas Neues aufbauen können. Aber jede Frau kann in ihrem Umfeld etwas bewirken, und das ist genau die Graswurzelbewegung, die wir brauchen.

TT: Die Welt ist heute mit einer Fülle von Problemen konfrontiert wie Klimawandel, Naturzerstörung und die fortschreitende Ungleichheit. Kann uns die Beschäftigung mit matriarchalen Kulturen zu Lösungen inspirieren?

Renate: Das wir einen gesellschaftlichen Wandel brauchen, ist inzwischen den meisten bewusst, viele wissen aber nicht, wie dieser aussehen könnte. Wir müssen aber nicht am Reißbrett eine völlig neue Gesellschaftsform entwerfen und dann feststellen, dass es doch nicht funktioniert. Die matriarchalen Strukturen haben sich seit Jahrtausenden bewährt und können uns aufzeigen, wie eine Gesellschaftsform aussehen könnte, die all diese Probleme lösen kann. Doch weil darin ein Sprengfaktor für unser patriarchales System liegt, hört man auf den Universitäten oder in den Medien darüber wenig.

Es liegt auf der Hand, dass unser Wirtschaftssystem, in dem es immer nur um noch mehr Wachstum und Gewinne geht, für die Probleme verantwortlich ist, mit denen wir konfrontiert sind. Alles, was uns die Erde schenkt, was uns das Weibliche schenkt, wird als Ressource betrachtet, zu Kapital gemacht und ausgebeutet. Es ist ja bezeichnet, dass heute sogar die Menschen als Humankapital bezeichnet werden. Wir müssen wieder zurück zu einer Ökonomie, die unsere Erde als Mutter betrachtet, die uns alles schenkt, und in der auch wir uns gegenseitig beschenken. Eine matriarchale Ökonomie funktioniert allerdings nur im geschlossenen Kreis, in dem patriarchalen System, das wir als Kapitalismus kennen, wird man damit nur ausgebeutet.

Sehr ermutigt hat mich die eindrücklich Rede, die der bolivianische Vizepräsident David Choquehuanca bei seinem Amtsantritt am 8. November 2020 gehalten hat. Darin hat er es anschaulich auf den Punkt gebracht, dass es sehr wohl möglich ist, auch auf der staatlichen Ebene andere Wege einzuschlagen. Natürlich ist es schwer, sich gegen das patriarchale System zu behaupten, das mit allen Mitteln darum kämpft, an der Macht zu bleiben, aber es ist zumindest ein Anfang, der uns Hoffnung gibt.

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Renate Fuchs-Haberl ist Referentin für moderne Matriarchatsforschung der Int. Akademie Hagia, Landschaftsmythologin mit dem Forschungsschwerpunkt auf alpenländisches Brauchtum und weiblich-spirituelle Traditionen unseres Kulturkreises, Leiterin matriarchaler Jahreskreisfeste und Rituale und Mitautorin des Buches "Erdenfrau". Renate Fuchs-Haberl betreibt in Nußdorf am Haunsberg eine Praxis für Benaudira-Hörtraining. Weitere Informationen: www.wildmohnfrau.at

Leseempfehlung: Heide Göttner-Abendroth: Am Anfang die Mütter - matriarchale Gesellschaft und Politik als Alternative. Ausgewählte Beiträge zur modernen Matriarchatsforschung.

veröffentlicht in Talktogether Nr. 75 / 2021

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