Gespräch mi Ike Okafor, Black Community OÖ

16.09.2024

TT: Du bist engagiert im Linzer Integrationsbeirat, Mitglied des Gemeinderats und Mitbegründer der Black Community Oberösterreich. Wie hat dein Engagement begonnen?

Ike: Ich bin 1990 als Student nach Österreich gekommen. Während meiner Studienzeit habe ich in der ÖH gearbeitet. An der Keppler Universität gab es Studenten aus verschiedenen afrikanischen Ländern. 1991 und 1992 sind dann wegen des Balkankriegs viele Menschen nach Österreich gekommen, manche von denen haben auch studiert. Ich habe gesehen, mit welchen Herausforderungen die Leute zu kämpfen hatten. Ich war überzeugt, dass wir es leichter haben könnten, wenn wir zusammen unsere Stimme erheben. Die Regelungen in diesem Land waren nicht für uns gemacht, wir mussten sie entweder akzeptieren oder neue Impulse hineinbringen. Die österreichischen Studierenden hatten ihre verschiedenen Fraktionen. Für uns als Migrant*innen oder ausländische Studierende hatten die politische Parteien jedoch damals noch nicht viel zu sagen gehabt. Aber es gab da noch das sogenannte Ausländerreferat. Dort haben wir den ausländischen Studierenden bei Übersetzungen und der Anerkennung von Studienleistungen geholfen, sie aber auch bei der Wohnungs- und Jobsuche und anderen Problemen unterstützt.

TT: Und du bist nach deinem Studium weiter im sozialen Bereich geblieben?

Ike: Nein. In den sozialen Bereich bin ich eher hineingerutscht, denn ich habe Wirtschaftsinformatik studiert. Ich habe in verschiedenen Firmen als Programmierer gearbeitet, doch bald erkannt, dass Zahlen und Systeme nicht meines sind, und dass ich lieber die Menschen im Fokus haben wollte.

TT: Wann ist die Black Community entstanden?

Ike: Es begann 2002, als ich in den Integrationsbeirat gewählt wurde und dadurch mit vielen anderen migrantischen Gruppen in Kontakt gekommen bin. Da habe ich gesehen, dass die anderen auch unter der Ausgrenzung leiden wie die Schwarze Community. Und die Leute dort konnten auch nicht alle super Deutsch, manche sind sogar mit ihren Kindern gekommen, die für sie übersetzt haben. Da habe ich gesagt: Diese Sprache sollte kein Hindernis sein. Da bin ich rausgegangen, in die Lokale, wo Afrikaner zu treffen waren, in die Kirchen und Asylheime. 2003 hat mich eine Kollegin aus dem Integrationsbeirat zu Radio FRO gebracht. Unser Programm hieß "Voice of Africa" und lief jeden Samstagabend, bevor die Leute in die Diskothek gegangen sind. In der Sendung haben wir über Gesetzesänderungen informiert und den Leuten Ratschläge gegeben, zum Beispiel wie sie sich bei Polizeikontrollen verhalten sollen, und dass sie auf ihre Führerscheine aufzupassen sollten. Außerdem wollten wir ihnen ein Stück ihre Heimat näherbringen. Jedes Mal war eine Person aus einem anderen afrikanischen Land dran, die in über ihr Land berichtet hat. Wir wollten Informationen aus erster Hand vermitteln, von Menschen aus den jeweiligen Ländern, und nicht von europäischen Afrika-Experten, die nur wenige Wochen in einem afrikanischen Land verbracht und dort ihre Beobachtungen gemacht haben. Wir haben auch Musik gespielt, die die Leute gekannt haben, was ihnen jedes Wochenende ein schönes Heimatgefühl vermittelt hat.

2005 bat mich die Mutter eines jungen Mannes, der mit seinen Kumpels von der Polizei schlecht behandelt worden ist, gebeten, etwas zu unternehmen. Da fragte ich mich, wie ich alle Afrikaner und Afrikanerinnen informieren könnte. Ich spreche nur Deutsch, Englisch, Pidgin-English und Igbo, jedoch weder Französisch, Portugiesisch, Arabisch noch andere afrikanische Sprachen. So habe ich alle afrikanischen Kolleg*innen, die ich kannte, zusammengerufen. Das erste Treffen war bei mir in der Wohnung. Dann hat uns der Verein Maiz einen Raum zur Verfügung gestellt, wo wir unsere erste Versammlung abhalten konnten. An diesem Tag beschlossen wir, eine Black Community zu gründen. Warum Black Community? Weil wir auch Menschen aus Bangladesch, Afroamerikaner*innen sowie alle, die aufgrund ihrer Hautfarbe Probleme haben, inkludieren wollten.

TT: Haben auch Österreicher*innen mitgeholfen?

Ike: Jein. Damals standen uns viele skeptisch gegenüber. Viele meinten, wir sind Drogendealer, wir nehmen ihnen die Jobs weg, wir nehmen ihnen die Frauen weg. Trotzdem haben wir viel Unterstützung bekommen, von engagierten Einzelpersonen, von Mitgliedern der Grünen und von Organisationen wie der Volkshilfe und Migrare. Ohne deren Hilfe wären wir nicht so weit gekommen. Dadurch wurde uns auch die Tür zur Sicherheitsabteilung des Landes geöffnet. Von da an standen wir ständig im Austausch mit Polizisten, die schwarze Menschen unterwegs kontrollierten, wir hatten auch einen Polizei-Beirat.

Und dann ist 2005 ein junger Asylwerber aus Gambia in der Schubhaft gestorben. Er hieß Yankuba Ceesay und ist von der Volkshilfe betreut worden, wo ich damals gearbeitet habe. Dadurch habe ich erfahren, dass er in den Hungerstreik getreten war und misshandelt wurde. Da ist mir der Kragen geplatzt. Wir können doch nicht hinnehmen, dass Menschen in Polizeigewahrsam zu Tode kommen. Ihr wollt eure moralischen Werte in die ganze Welt hinaustransportieren, und könnt sie nicht einmal hier ausleben! Es hat eine riesige Demonstration gegeben, zu der Menschen aus Wien, Graz und Tirol mit Bussen nach Linz angereist sind, um uns zu unterstützen. Danach haben wir unsere Beziehung zur Polizei vertieft, bis wir in der Sicherheitsakademie eine Schulung abhalten konnten.

TT: Was sind die Ziele der Black Community?

Ike: Die erste Säule ist Aufklärung und Sensibilisierung für Themen, mit denen schwarze Menschen konfrontiert sind, wie die Ablehnung bei der Wohnungs- und Jobsuche. Die zweite Säule ist die Unterstützung der Menschen in ihrem Integrationsprozess. Die dritte Säule ist, die Geschichte Afrikas neu zu erzählen, und zwar aus unserer Sicht und nicht aus der des Kolonialherren. Das tun wir in Schulworkshops oder durch das Projekt African SHeroes. Ich selbst bin ein gutes Beispiel. Ich habe in Nigeria einen Bachelorabschluss in Philosophie gemacht, habe aber trotzdem nicht viel über Afrika gewusst. Wer hat mich ausgebildet? Der Missionar. Außerdem wollten wir der Öffentlichkeit ein anderes Bild von uns Afrikaner*innen vermitteln. Nur wenn wir herauskommen und sagen: "Wir sind Menschen wie du, wir wollen ein gutes Leben führen und unsere Kinder großziehen", sehen die Einheimischen, dass wir die gleichen Bedürfnisse haben wie sie, sonst bleiben wir immer Drogendealer, Vergewaltiger und von Natur aus aggressiv, wie damals die FPÖ-Abgeordnete Partik-Pablé gesagt hat. Aber wenn die Black Community jedes Jahr Afrika Literaturtage veranstaltet oder zum Familien-Lesetag einlädt, kommen wir weg von diesem Image und zeigen, dass es unter uns auch gebildete und engagierte Leute gibt.

TT: Was war deine Motivation, als Afrikaner für den Gemeinderat zu kandidieren?

Ike: Ich lebe hier, deshalb beteilige ich mich an den Aktivitäten der Leute hier. Es wäre ein Irrtum, zu glauben, dass die Gesellschaft Interesse daran hat, dir einen Platz anzubieten. Sei dankbar, dass wir dich aus deinem Elend befreit und hier aufgenommen haben. Du sollst brav deine Arbeit machen und deinen Platz akzeptieren. Wer bist du denn, dass du mit denen da oben am gleichen Tisch essen willst? Du bist gerade gekommen und musst unsere Kultur annehmen. Das ist ihre Sicht. Die respektiere ich auch, denn das System ist gemacht worden, bevor ich gekommen bin. Ich nehme mir aber das Recht heraus, meinen Platz in der Gesellschaft für mich selbst zu definieren. Viele Migrant*innen sehen das nicht so. Sie ziehen sich zurück und meinen, sie akzeptieren uns sowieso nicht, egal was wir machen. Aber sehen wir uns die Gesellschaft an: Jeder geht für sich selbst einkaufen, und wenn er regnet, zieht sich jeder in seine Wohnung zurück. Wo gibt es denn da ein Wir? Wenn wir also von Wir reden, dann gehöre ich auch dazu. Ich sage, ich bin gekommen, um zu bleiben, ob es dir passt oder nicht. Ich werde nicht einfach verschwinden. Du musst lernen, mit mir zurechtzukommen. Wenn du Probleme hast mit meinem Dasein, komm, tauschen wir uns aus, klären wir das. Ich habe kein Problem, es gefällt mir hier, sonst wäre ich nicht hier, sonst würde ich woandershin weiterwandern.

TT: Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund wächst. Wie siehst du ihr politisches Bewusstsein und ihre Partizipation in der österreichischen Politik?

Ike: Leider mangelhaft. Das Problem ist: Nur wenn die Leute Österreich zu ihrer Heimat machen, sind sie bereit, sie mitzugestalten. Es gibt aber viele, die zwar hier wohnen, aber nicht hier leben. Sie wünschen sich, dass alles so bleibt, wie sie es aus ihrer Heimat kennen. Sie wissen nicht einmal, dass sie ein Wahlkampfthema sind. Ich nenne sie die wahren Wahlhelfer der Parteien, die ohne die Migrationsthematik keine Wahlen gewinnen würden. Aber das ist den Leuten nicht bewusst. Deshalb sitzen sie daheim. Sie nehmen ihr Wahlrecht nicht wahr und wissen nicht einmal, dass es um sie geht. Und deshalb haben diejenigen von uns, die ein bisschen Respekt in den Communities genießen, die Aufgabe, diese Aufklärungsarbeit zu machen.

TT: Wie versuchst du, ihnen klarzumachen, dass es wichtig es ist, ihre Stimme abzugeben, sobald sie das Recht haben?

Ike: Ich mache es, indem ich in Vereine der verschiedenen ethnischen Gruppen gehe, sie bei ihren Sitzungen besuche und sie frage: Wie geht es euch? Was erlebt ihr? Ich versuche, ihnen nahezubringen, dass die Vereinsstruktur nicht so anders ist wie die Struktur im Land. In den Vereinen gibt es Vorstände, und der Landeshauptmann ist eben der Obmann vom Verein Oberösterreich. Wenn die Leute das verstanden haben und sich mit den Zielen und Visionen einer Partei identifizieren, dann entscheiden sie, in welche Ebene dieser Struktur sie sich einreihen wollen. Ich freue mich, wenn aus Afrika stammende Personen in der Politik mitmachen wollen. Ich selbst bin Mitglied der Grünen, sehe die Welt aber nicht nur durch die grüne Brille. Ich habe nicht das Recht, anderen zu erklären, wie sie die Sache zu sehen haben. Ich motiviere sie und sage, geh hin, bring unsere Themen auf den Tisch, Hauptsache, du tust etwas. Aber viele interessieren sich nicht für Politik. Zu denen sage ich: Die Politik bestimmt, welches Wasser ich trinke, welche Einkäufe ich tätigen kann, wie schnell ich mit dem Auto fahren darf, wo ich mich niederlassen darf, wieviel ich verdiene und in welche Schule meine Kinder gehen. Das sind Themen, die uns alle betreffen. Daher genügt es nicht, drinnen in meinem Zimmer zu schimpfen: Sie mögen uns nicht.

TT: Wie siehst du die Chancen der Generation, die jetzt hier aufwächst?

Ike: Viele Jugendliche tun mir leid. Welchen Weg ein Kind geht, hängt meist davon ab, welchen Weg seine Eltern gegangen sind, außer sie haben Beziehungen zu Einheimischen, die ihnen andere Türen öffnen. Viele migrantische Eltern fördern ihre Kinder nicht, weil sie zu wenig Zeit haben. Das Problem ist auch, dass viele Jugendliche nicht den richtigen Beruf wählen können, weil es Druck von zu Hause gibt. Die Eltern haben bestimmte Bilder im Kopf, welchen Beruf ihre Kinder erlernen sollten, fragen aber nicht, was das Kind selbst will. Außerdem – ich weiß nicht, ob sich das inzwischen geändert hat – stellt meiner Erfahrung nach allein der Name oft ein Hindernis dar, wenn es darum geht, in eine Schule aufgenommen zu werden oder einen Job zu bekommen Und dann haben die Jugendlichen Probleme, daheim verstanden zu werden. Sie haben einen doppelten Konflikt, den mit den Eltern und den mit der Gesellschaft. Sie haben es nicht leicht.

TT: Früher wurde viel über Integrationsunwilligkeit gesprochen, heutzutage wird weniger darüber geredet. Hast du das auch so wahrgenommen?

Ike: Ich denke nicht, dass es weniger geworden ist. Die Neos in Wien schreien die ganze Zeit, es gibt so viele Probleme in der Schule, wir haben zu viele Migrantenkinder. Man redet über die Reduzierung des strafbaren Alters, als ob das die Probleme lösen würde. Die Medien greifen das sofort auf und stellen die Migranten als gewalttätig dar. Das ist immer noch aktuell. Ich bin seit 1990 in Österreich. Schon damals hat es geheißen, die Ausländer integrieren sich nicht. Darüber reden sie noch immer, nur mit anderen Worten. Heute wird über Werte geredet, aber es geht um dasselbe.

TT: Was würdest du den Mitgliedern deiner Community empfehlen, damit ihre Anliegen wahrgenommen werden?

Ike: Die Frage lautet: Welche Community ist meine? Es ist die Gesellschaft, in der ich lebe. Aber wenn ich in die afrikanischen Communities gehe, oder in die schwarze Community, empfehle ich den Leuten: Geht hinaus und beteiligt euch an der Gesellschaft, in der ihr lebt, ob in der Kirche, in der Gemeinde oder bei der Feuerwehr. Nur wer Teil der Gesellschaft ist, hat die Möglichkeit, seine Anliegen zu äußern und zu sagen, wie er genannt werden möchte. Sonst bleibt er in den Augen der Mehrheit ein Ausländer, ein Schwarzer, ein Unbekannter.


Veröffentlicht in Talktogether Nr. 89 / 2024


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