Geschichte der Underground Railroad

08.08.2003
Seit den ersten Tagen, an denen gefangene Afrikaner als Sklaven nach Nordamerika gebracht worden waren, gab es mutige Männer und Frauen, die sich weigerten, Schläge, Vergewaltigung, Ungerechtigkeit und Zwangsarbeit zu akzeptieren. Viele von ihnen flohen in die tiefen Wälder, von denen die Farmen der Siedler umgeben waren. Allein zwischen 1732 und 1790 wurden 7846 entflohene Sklaven mit Steckbriefen gesucht, das ist wahrscheinlich nur ein kleiner Prozentsatz der Geflüchteten. Die Sklavenbesitzer versuchten mit allen Mitteln, die Flucht zu verhindern. Sie verboten Sklaven das Lesen oder über die Geographie des Landes zu lernen. Sie verbreiteten Gerüchte, dass die eingeborenen Indianer Afrikaner essen würden und erzählten ihnen, dass Flüsse wie der Ohio Tausende Meilen breit und nicht zu überqueren seien. Entflohene und gefangene Sklaven wurden zudem auf grausame Weise bestraft. Ihre Füße wurden abgehackt und auf Gesicht oder Händen wurde ihnen der Buchstabe "R" (für runaway) tätowiert. Als Strafe wurden sie weit weg verkauft, damit sie ihr Wissen nicht weitergeben konnten.


Kurzum, eine Flucht war extrem gefährlich und das Überleben nach einer Flucht bitter hart. Die Sklaven besaßen fast nichts und befanden sich in einer feindlichen Umwelt. Manche Sklaven kehrten sogar nach einer Zeit in den Wäldern wieder zurück zu ihren Besitzern. Doch viele fanden den Weg in die legendären "Maroon" Gemeinden, die von entflohenen Sklaven in den Bergen und Sümpfen gegründet worden waren, andere siedelten sich ständig in Indianerdörfern an. Andere flüchteten über die Grenze in das von Seminolen kontrollierte Florida, auf die Bahamas, nach Mexiko oder Kanada. Es gab auch bewaffnete Aufstände wie die Massenflucht 1856 in Texas, wo 200 Sklaven flohen und bei der mexikanischen Bevölkerung Unterstützung fanden.


"Underground Railroad"

Da die Sklavenbesitzer der herrschenden Klasse der USA angehörten, wurden auch die Gesetze für sie geschrieben. Jede Hilfe zur Flucht wurde streng bestraft. Die Existenz dieser Gesetze zeigt aber, dass die Sklaven von Anfang an bei ihrer Flucht Unterstützung bekommen hatten. Mit der Zeit hatte sich ein illegales, organisiertes Netzwerk gebildet, um den Sklaven bei der Flucht zu helfen. Es wurde "Underground Railroad" genannt. Das Rück­grad dieser Bewegung waren die Sklaven selbst, die ihren Kampf um Freiheit nie aufgaben und an die Türen von befreiten Schwarzen oder weißen Sklavereigegner_innen klopften. Daraus bildete sich eine Gruppe entschlossener Kämpfer, die ihr Leben der Sklavenbefreiung widmeten. Zwei entflohene Sklaven, Elizah Anderson und John Mason, halfen dabei über 2000 Sklaven zu retten. Mason wurde gefangen und wieder in die Sklaverei verkauft, doch er floh wieder, um seine Arbeit fortzusetzen.

Die kleinen, bitter armen Gemeinden der befreiten Schwarzen bildeten die Basis für die Underground Railroad. Und mit der Zeit bekam dieses Netzwerk immer mehr Unterstützung von den radikalen Gegnern der Sklaverei unter den Weißen. Unter ihnen gab es verschiedene politische Ansichten. Manche glaubten, die Sklavenbesitzer durch moralische Überredung oder durch das Angebot von Geldbeträgen zur Freilassung der Sklaven bewegen zu können. Doch ein anderer Teil von ihnen war von der Notwendigkeit von konkreten Handlungen überzeugt. Und diese weißen Unterstützer spielten eine unersetzliche Rolle in der Bewegung, da sich weiße Menschen viel freier bewegen konnten und meist auch mehr finanzielle Mittel zur Verfügung hatten. In vielen Teilen der USA arbeiteten weiße AktivistInnen eng mit den schwarzen Gemeinden zusammen. In North Elba, New York z.B. verbündete sich die Familie des Wollhändlers John Brown mit einer schwarzen Gemeinde namens Timbuktu. Gemeinsam halfen sie den Sklaven über die Berge nach Kanada zu fliehen.

In der Bewegung gab es verschiedene Aufgaben, manche waren Kundschafter und Führer, die Kontakt mit den Sklaven hielten. Sie stellten Verkleidung, Landkarten und Informationen zur Verfügung und begleiteten sie oft persönlich auf der Flucht. Andere AktivistInnen betreuten die "Bahnhöfe", wo sich die Flüchtenden verstecken und ausruhen konnten und mit Essen und Medizin versorgt wurden. Die Quäkerfamilie von Levi und Catherine Coffin in Newport, Indiana war ein herausragendes Beispiel dieser frühen "Bahnhofsvorsteher". Levi Coffin war ein Bankier, der ein großes geräumiges Haus besaß, das zum Grand Central, zum Hauptbahnhof der "Railroad" wurde. In 20 Jahren wurden dort 2000 Men­schen mit Unterkunft, Essen, Medizin und Kleidung versorgt.

Im frühen 19. Jahrhundert war die Antisklaverei-Bewe­gung noch sehr klein, sie fand ihren Rückhalt vor allem in den kleinen Gemeinden von freien Schwarzen und bei den pazifistischen Quäkern. In diesen Tagen war es sehr gefährlich, Sklaven zu helfen. Sklaven wurden als Besitz betrachtet und wer ihnen bei der Flucht half, wurde wie ein Pferdedieb behandelt und bestraft. Die Häuser der Aktivist_innen wurden angezündet, viele wurden ins Gefängnis gesteckt oder von Sklavenbesitzern erschossen. Unter diesen Bedingungen musste die "Underground Railroad" Bewe­gung geheim handeln und sich schützen. Die Beteiligten wurden nur mit Spitznamen angeredet. Die Organisatoren wurden als "Schaffner" bezeichnet, die Sklaven als "Passagiere" oder "Gepäck", die sicheren Häuser "Bahnhöfe", die Hauptquartiere hießen "Hauptbahnhof" und die Fluchtrouten "Schienen". Die Nordstaaten und Kanada waren "das Ziel". Frauen nähten Quilts (Steppdecken) mit heimlichen Wegweisern und Zeichen, die sie auf Wäscheleinen hängten, damit die Sklaven den richtigen Weg fanden. Auch die Lieder der Schwarzen enthielten Codes, so wurden die Sklavenbesitzer als "Pharao", der Ohio-Fluss als "Jordan" und Kanada als das "gelobte Land" bezeichnet.

Ein Sturm braut sich zusammen

Im Laufe des 19. Jahrhunderts änderte sich die Situation der Sklaven. Große Baumwollplantagen entstanden in Alabama und Mississippi, um den Bedarf für die sich entwickelnden kapitalistischen Textilfabriken in England und Neuengland zu decken. Zwischen 1790 und 1860 ist die Zahl der Sklaven von einer halben Million auf vier Millionen angestiegen, und ihre Lebensbedingungen verschlechterten sich dramatisch. Viele wurden von den kleinen Familienfarmen verkauft an Baumwoll- und Zuckerplantagen, wo sie sich oft zu Tode arbeiten mussten. Der Apparat zur Unterdrückung der Sklaven wurde vergrößert. Die Sklavenbesitzer bezahlten Privatarmeen, um die Sklaven zu bewachen. Durch die Ausbreitung der Siedlungen und die Zurückdrängung der Urbevölkerung gab es kaum mehr sichere Plätze, wohin die Sklaven fliehen konnten. Die "Underground Railroad" wurde mehr gebraucht als je zuvor. Zur selben Zeit fand aber auch die Antisklavereibewegung immer mehr Anhänger und Sympathisan­ten. Universitäten wie Antioch und Oberlin wurden Zentren des Widerstands gegen die Sklaverei, und radikale Zeitungen wie William Lloyd Garrison's "Liberator" und Frederick Douglass' "Northern Star" wurden auf den Straßen verkauft. Und obwohl die Railroad-Bewegungnoch immer noch illegal war und verfolgt wurde, hatte sie immer mehr Einfluss auf die öffentliche Meinung. Nach Schätzungen verhalf sie pro Jahr 1000 Sklaven zur Flucht nach Kanada.

Ein Frau, die Moses genannt wurde

Eine der herausragendsten Figuren in der Geschichte der "Underground Railroad" war die Kundschafterin Harriet Tubman. Sie wurde als Sklavin in Maryland geboren. Als Landarbeiterin lernte sie, Holz zu fällen, Stämme zu spalten, sich lautlos durch den Wald zu bewegen und wie man Nahrung und Medizin unter Pflanzen, Wurzeln und Kräutern findet - Dinge die später auf ihren neunzehn Fahrten in den Süden und zurück lebenswichtig waren. Sie ließ ihren Ehemann und ihre Brüder zurück, die nicht wagten, mit ihr zu fliehen, und ging den Weg in die Freiheit allein. Sie kam an nach ihren Worten "als Fremde in ein fremdes Land". Sofort schloss sie sich der "Underground Railroad" Bewegung an und verhalf Hunderten Männern, Frauen und Kindern zu fliehen. Sie kannte Pflanzen, um schreiende Säuglinge zu beruhigen, und trug immer eine geladene Pistole bei sich - für die Feinde, aber auch um die Disziplin zu wahren.

Harriet behauptete stolz von sich: "Ich habe niemals einen einzigen Passagier verloren!" Die Sklavenbesitzer boten 40.000 $ für ihre Ergreifung - lebendig oder tot. Sklaven waren jedoch manchmal enttäuscht, wenn sie ihr begegneten, da sie sehr klein war und unauffällig aussah, was aber für ihre Arbeit nur von Vorteil war. Frederick Douglass, der berühmte Aktivist für die Sklavenbefreiung, ehrte Harriet mit den Worten: "Das meiste, was ich getan habe, war in der Öffentlichkeit, und ich habe viel Ermutigung bekommen. Aber was du getan hast, wurde nur von den zitternden und ängstlichen Sklaven gesehen. Die Sterne am nächtlichen Himmel waren die Zeugen deiner Freiheitsliebe und deines Heldenmutes."

Offener Widerstand

1850 führte der US Kongress einen tödlichen Angriff auf die Anti-Sklaverei Bewegung und die befreiten Schwarzen aus: das neue Flüchtlingsgesetz. Dieses Gesetz befahl den Bürgern und den Behörden, entflohene Sklaven einzufangen und zurückzubringen. Dieses Gesetz galt sogar in den Nordstaaten, wo die Sklaverei verboten war. Die Schwarzen hatten dabei keine Möglichkeit, Einspruch zu erheben. Das ermöglichte Sklavenjägern sogar freie Schwarze in den Nordstaaten zu fangen und in die Sklaverei zu verkaufen. Das versprach große Profite und es entwickelte sich ein neuer Sklavenhandel. Die Schwarzen verstanden die Gefahr, denn in Pittsburgh waren alle schwarzen Kellner buchstäblich über Nacht verschwunden.

Doch die Bewegung antwortete mit neuen mutigen Stra­tegien. In vielen Städten wurden militante Organisationen gebildet, um sich gegen die Sklavenjäger zu wehren. Und die Bewegung gewann immer mehr Anhänger, die geschockt waren zu sehen, wie schwarze Menschen auf der Straße gefangen und in die Sklaverei verkauft wurden. In Troy, N.Y., leitete Harriet Tubman persönlich eine militante Aktion, an der Tausende schwarze und weiße Menschen beteiligt waren, um den entflohenen Sklaven Charles Nalle aus einem Gerichtsgebäude zu befreien. Und in Boston waren 22 Militäreinheiten notwenig, um Anthony Burns zurück in die Sklaverei zu bringen.

Viele begannen über radikale Lösungen nachzudenken. Ein Bostoner Aktivist, der Pfarrer Higginson, der beim Kampf zur Befreiung von Anthony Burns verwundet worden war, sagte: "So wie ich erzogen worden war, war wohl so eine Erfahrung nötig, um den Geist zu einer revolutionären Haltung zu erziehen". Nach seinen Worten war es für ihn "ein befremdenden Gefühl, plötzlich außerhalb der Institutionen zu stehen", sich verstecken und seine Absichten verbergen zu müssen und "zu erkennen, dass Gesetz und Ordnung, Polizei und Militär auf der falschen Seite stehen, zu sehen, dass ein guter Bürger sein schlecht und eine schlechter Bürger zu sein eine Pflicht war".

Unter manchen Gegnern der Sklaverei entstand die Diskussion, einen bewaffneten Krieg gegen die Sklaverei zu führen. John Brown z.B. hatte die Idee, eine Guerrillaarmee bestehend aus Sklaven in den südlichen Appala­chen zu etablieren. Diese sollten dann zu den Plantagen strömen, um die Sklaven dort zu befreien und in die Armee aufzunehmen. Seiner Ansicht nach würde der "Underground Rail" dann in beide Richtungen fahren, um die Armee mit Nachschub zu versorgen. Brown und seine Unterstützer studierten die erfolgreiche Sklaven­revolution in Haiti und den spanischen Guerrillakrieg gegen Napoleon. Harriet Tubman unterstützte seinen Plan mit Enthusiasmus. Im Jänner 1858 hatte John Brown eine ausgedehnte Unterredung mit Frederick Douglass, in der eine Verfassung für einen befreiten Staat für Schwarze geschrieben wurde. Doch John Brown und 22 seiner Mitstreiter wurden 1859 von der Armee gefangen, als sie ein Waffenlager überfielen. Brown wurde wegen Landesverrats zum Tod durch Hängen verurteilt und hingerichtet.

Die AktivistInnen der "Underground Railroad" spielten auch eine bedeutende Rolle im Bürgerkrieg, der 1861 ausbrach und sich zu einem Krieg für die Befreiung der Sklaven entwickelte. Harriet Tubman arbeitete als Scout für die Unionsarmee und führte zahlreiche gefährliche Missionen an. In einer Expedition führte sie schwarze und weiße Truppen zu einem Überfall auf eine Plantage an und befreite 750 Sklaven. Bis heute genießt sie den Ruf, die einzige Frau zu sein, die in einem Krieg Truppen anführte.

"Seit ich denken kann ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht von der Freiheit geträumt habe."

Anthony Bingey, Sklave

"Ich führte sie durch die Wälder meistens in der Nacht. Buben als Mädchen und Mädchen als Buben gekleidet; zu Fuß, auf dem Pferd, im Wagen versteckt unter Heu, in alten Möbeln, in Schachteln, auf Booten, Flossen oder Baumstämmen."

Calvin Fairbanks, weißer Minister, der aufgrund seiner Aktivitäten 14 Jahre lang im Gefängnis verbingen musste

erschienen in: Talktogether Nr. 6/2003