Der Mythos vom grünen Kapitalismus

27.03.2010

Daniel Tanuro über Klimawandel und Ökosozialismus

"Wenn sie glauben, einen schmutzigen Kapitalismus in einen sauberen verwandeln zu können, sollten wenigstens die Verursacher die Kosten für den Umstieg bezahlen", verlangt Daniel Tanuro und plädiert für das Konzept eines Ökosozialismus. In seinem Vortrag am 27. März in Salzburg im Rahmen des Kolloquiums "Climate Change, Uneven Development and Power", das von der Arbeitsgruppe Wirtschaftsgeographie an der Universität organisiert wurde, bezeichnete der belgische Agrarwissenschafter und Gründer der Organisation "Climat and Justice Sociale" das Konzept eines grünen Kapitalismus praktisch als Illusion und forderte die Verbindung der ökologischen Herausforderung mit den Erfordernissen einer globalen sozialen Gerechtigkeit.

Drei Milliarden Menschen auf der Erde mangelt es an existenziellen Lebensgrundlagen. Die Befriedigung ihrer Bedürfnisse erfordert die erhöhte Produktion materieller Güter und damit einen erhöhten Energieverbrauch. Heute stammen 80 Prozent der Energie aus fossilen Quellen und produzieren Treibhausgase, die das Klimasystem der Erde aus dem Gleichgewicht bringen. Doch genau das können wir uns nicht mehr leisten, sagt Tanuro, weil wir aller Voraussicht nach bald den Punkt erreichen werden, an dem diese Entwicklung unkontrollierbar und unumkehrbar sein und zu einer Situation führen könnte, die der Planet seit 65 Millionen nicht mehr erlebt hat: eine Welt ohne Eis. Das gänzliche Verschwinden des Eises würde natürlich nicht von heute auf morgen passieren, sondern vielmehr in einem Prozess, der bis zu Tausend Jahre dauern kann. Aber der könnte in zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren in Gang gesetzt werden und einen Anstieg des Meeresspiegels um einige Meter bis zum Ende des Jahrhunderts auslösen.

Für Tanuro stellt sich folglich die Frage, welche Maßnahmen notwendig sind, um diese Entwicklung zu verhindern. Laut IPCC, dem von den Vereinten Nationen ins Leben gerufenen Weltklimarat, ist eine Reduktion der weltweiten CO2-Emissionen von 50 bis 80% bis 2050 nötig, um das Ansteigen der Erderwärmung auf 2 bis 2,4 Grad zu begrenzen. Weil der industrialisierte Norden zu 70 % zur globalen Erwärmung beigetragen hat, sollte er seine Emissionen um 25 bis 40 % Prozent bis 2020 und um 80 bis 95 % bis 2050 reduzieren. Diese Ziele sind als sehr dringlich anzusehen, da Klimamodelle sog. nicht-lineare Phänomene wie das Schmelzen der Eiskappen in Grönland und der Antarktis nicht voraussagen können, die ja die größte Bedrohung darstellen, weil sie ein Ansteigen des Meeresspiegels verursachen. Aber auch die Länder des Südens müssten ihre Emissionen reduzieren, ihre Entwicklung müsste anderer Art vonstatten gehen, als die des Nordens. Dabei handelt es sich um sehr ambitionierte Ziele, vergleichbar damit, innerhalb von zwei bis drei Generationen völlig auf fossile Energien zu verzichten.

Ist es denn möglich, auf Kohle, Öl und Gas zu verzichten? Die theoretische Antwort lautet ja, sagt Tanuro. Das technische Potenzial erneuerbarer Energien, vor allem der Sonnenenergie und der Geothermik, entspreche dem Sieben- bis Zehnfachen des Weltenergieverbrauchs, der Fortschritt in Wissenschaft und Technik werde auch noch zunehmen.

Doch die praktische Antwort sei wesentlich komplizierter. Angesichts der kurzen Zeit, die uns für die Umstellung zur Verfügung stehe, müsse diese mit einer massiven Reduktion des Energieverbrauchs einhergehen, eine Reduktion, die nicht allein durch Effizienzsteigerung zu erreichen sei, so Tanuro. Es müsse daher zu einer echten Reduktion der Industrieproduktion und der Transporte kommen. Wie ist das in einem kapitalistischen System vorstellbar, das auf Wachstum und Profit basiert?

Die kapitalistische Lösung

Tanuro hält den Kapitalismus für unfähig, diese Herausforderung zu meistern, zumindest nicht auf eine Weise, die für die Menschheit akzeptabel ist. Denn Ziel des Kapitalismus sei nicht die Produktion von Gebrauchswerten um die begrenzten menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, sondern die Produktion von Extramehrwert für die unbegrenzten Bedürfnisse zahlreicher untereinander konkurrierender Kapitalien, die um rivalisierende Staaten organisiert sind.

Auch wenn mit "grünen" Lösungen durchaus Profite zu erzielen seien, würden diese das "schmutzige" Kapital keinesfalls ersetzen, sondern nur ergänzen, weil letztere aufgrund ihrer Machtposition die wirtschaftliche und technologische Entwicklung dominieren und bestimmen. Als Beispiel führt Tanuro die Versprechen Obamas an, die er vor seiner Wahl gegeben hat, nämlich dass die Verursacher der Verschmutzung bezahlen müssten, dass grüne Technologien massiv gefördert und die Benachteiligten der Gesellschaft bei den steigenden Energiepreisen unterstützt werden würden. Fünf Millionen Jobs sollten auf diese Weise kreiert werden. Doch als die Krise kam, ist von all den guten Absichten nicht viel übrig geblieben.

Die kapitalistische Politik fördere im Gegenteil die Klimazerstörer. Das EU-Emissionshandelssystem erlaube es Unternehmen, Verschmutzungsrechte mit Profit zu verkaufen und die Kosten an die KonsumentInnen abzuwälzen. Die Lobbies der fossilen Energieerzeuger und der damit verbundenen Industrien wie Autoindustrie, Schiffs- und Flugzeugbau oder die Petrochemie bilden nämlich das Herz der kapitalistischen Produktion.

Das Ergebnis sei eindeutig: In allen Ländern würden die Klimapläne nicht einmal die Hälfte der notwendigen Maßnahmen repräsentieren. Kopenhagen könnte eine noch gefährlichere Politik als die des Kyoto-Protokolls einleiten. Alle Pläne zur CO2 Reduktion würden auf den Rücken der Lohnabhängigen und Armen der Welt ausgetragen, soziale Ungleichheiten verstärken und auf teure und gefährliche Technologien wie Atomenergie, CO2-Abscheidung und Speicherung oder die massive Produktion von Biotreibstoffen setzen, Lösungen die Tanuro nicht nur für bedenklich, sondern auch rein praktisch für nicht in ausreichendem Maß durchführbar hält. Die Kopenhagener Konferenz habe in einer Sackgasse geendet, kritisiert Tanuro, ohne harte Ziele, ohne Fristen. Eine Klimapolitik auf Basis der aktuellen nationalen Klimapläne würde zu einem durchschnittlichen Temperaturanstieg von 3,2 bis 4,9 Grad im Jahr 2100 - verglichen mit dem vorindustriellen Niveau - führen.

Tanuro warnt aber vor einer apokalyptischen Katastrophenstimmung, die zu Opfern aufruft, dabei aber den Blick für die Verantwortung des kapitalistischen Systems verstelle. Zweifellos würde eine Erderwärmung von 4 Grad soziale und ökologische Katastrophen hervorrufen. Aber weder die Zukunft des Planeten sei in Gefahr, noch die Existenz des Lebens auf Erden, auch nicht das Überleben der Menschheit und schon gar nicht der Fortbestand des Kapitalismus. Was aber auf dem Spiel stehe, seien vielmehr die Lebensbedingungen oder teilweise sogar das Überleben der drei Milliarden Menschen, die schon jetzt unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. "Der Kapitalismus findet immer einen Ausweg", zitiert Tanuro Lenin, "aber dieser Ausweg könnte in der jetzigen Situation ein barbarischer sein".

Eine Krise des Systems

Für Tanuro ist es offensichtlich, dass die ökologische und die soziale Krise dieselbe Ursache haben, nämlich die Krise der kapitalistischen Produktionsweise. Der Ausdruck "ökologische Krise" führe aber in die Irre, denn nicht die Natur sei in der Krise, sondern die Beziehung zwischen Mensch und Natur, nicht das Klima sei in der Krise und nicht die "menschlichen Aktivitäten" im Allgemeinen Ursache für das Missverhältnis, sondern eine ganz bestimmte Weise der menschlichen Aktivität, eine historisch begrenzte, die auf der Verwendung fossiler Brennstoffe basiert.

Um das Recht auf Entwicklung und Befriedigung sozialer Bedürfnisse mit der gigantischen Aufgabe, die Emissionen zu reduzieren, zu verbinden, bedarf es laut Tanuro einer radikalen antikapitalistischen Perspektive. Prinzipielle Maßnahmen müssten ins Auge gefasst werden, um unnütze oder gefährliche Produktionen gänzlich einzustellen, ein Plan für den Umstieg auf erneuerbare Energien entwickelt und die Steigerung von Energieeffizienz in Angriff genommen werden, unabhängig von den Kosten. Folgende Maßnehmen seien unentbehrlich: saubere Technologien müssen den Menschen im Süden zur Verfügung gestellt werden, die Unterstützung und Förderung einer bäuerlichen Agrikultur gegenüber dem Agrobusiness, die räumliche Verlagerung von Produktionen, eine gerechte Verteilung des Reichtums, eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit ohne Zunahme der Arbeitsintensität und Lohnverlust, sowie die Infragestellung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse insbesondere im Kredit- und Energiesektor.

Der Mensch lebt von der Natur, heißt: Die Natur ist sein Leib, mit dem er in beständigem Prozess bleiben muss, um nicht zu sterben. Dass das physische und geistige Leben des Menschen mit der Natur zusammenhängt, hat keinen anderen Sinn, als dass die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist ein Teil der Natur."

(Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte,
MEW 40, S.516)

Der erste Schritt ist, es auszusprechen

Auf den Einwand, dass dies leichter gesagt als getan sei, entgegnet Tanuro, der erste notwendige Schritt, das zu tun, sei eben, es auszusprechen. Auch wenn es heute schwierig sei, eine solche Perspektive zu verteidigen, gebe es angesichts des Ausmaßes der Probleme und der dringenden Notwendigkeit, die vorhersehbaren Konsequenzen zu vermeiden, für ihn keine andere Wahl als einen radikalen Bruch mit der Dynamik von Akkumulation und Warenproduktion, in anderen Worten, mit dem Kapitalismus. Für Tanuro bedeutet das mehr als eine politische Option, für ihn handelt es sich um eine Frage der Zivilisation. Seine Vision ist eine Gesellschaft, in der die Menschen in die Lage versetzt werden, auf demokratische Weise zu entscheiden, was produziert werden soll, warum, wo, von wem und in welcher Quantität.

Weil es sich um eine antikapitalistische Perspektive und einen globalen Plan handle, könne es folglich nur die Aufgabe der unterdrückten und ausgebeuteten Massen sein, der Arbeiterklasse, der Jugend, der Frauen, der KleinbäuerInnen und der indigenen Völker, diesen Plan zu entwickeln und zu erkämpfen.

Tanuro sieht es dabei als zwar schwierige aber unumgängliche Aufgabe an, die Klimafrage in die Arbeiterbewegung zu integrieren. Schwierig deshalb, weil die Lohnabhängigen aufgrund der historischen Trennung von ihren Produktionsmitteln dazu neigen, in der Natur eine feindliche Kraft zu sehen: Der Klimaschutz wird als Bedrohung für ihre Arbeitsplätze und als Vorwand für den nächsten Angriff auf ihre Interessen gesehen. Unumgänglich aber, weil nur sie den Umstieg zu einer anderen Produktionsweise vollziehen können. Je erfolgreicher und selbstbewusster die Arbeiterklasse aber in ihren Kämpfen sei, meint Tanuro, desto mehr würde sie befähigt, sich mit der ökologischen Frage auseinander zu setzen.

Was ist zu tun?

Für Tanuro ergeben sich daraus folgende Schlussfolgerungen:

- Erstens seien bessere Machtverhältnisse für die Unterdrückten und Ausgebeuteten zwar notwendige Vorbedingungen für eine antikapitalistische Lösung der Klimakrise, aber in keiner Weise ausreichend, da die ökologische Frage eine Anzahl spezifischer Charakteristika enthalte. Seiner Ansicht nach ist es kein Zufall, dass gerade BäuerInnen, indigene Völker und die Jugend die größte Rolle in der Mobilisierung für den Klimaschutz spielen. Während junge Menschen für ihre Zukunft kämpfen, sind BäuerInnen und Angehörige indigener Völker im Gegensatz zur Arbeiterklasse nicht von ihren Produktionsmitteln, also vom Land und der Natur, entfremdet. Aber auch die Arbeiterklasse könne und müsse einen bedeutenden Beitrag leisten, indem sie Arbeit leistet für die Bedürfnisse der Menschen und nicht für die Profite des Kapitals. Durch ein Bündnis zwischen den unterschiedlichen sozialen Bewegungen könne Bewusstsein für ihre gemeinsame Stärke entwickelt werden.

- Zweitens sei es wichtig, ein konkretes Forderungsprogramm zu erarbeiten, damit die sozialen und ökologischen Dimensionen der kapitalistischen Krise miteinander verbunden werden können. Dabei sei es ausschlaggebend, einerseits die Vision einer anderen Gesellschaftsform im Auge zu behalten, aber gleichzeitig ein Konzept für ein Übergangsprogramm - also öffentliche Investitionen beispielsweise in die thermische Sanierung von Gebäuden und in ein flächendeckendes und bedürfnisgerechtes öffentliches Verkehrsnetz - zu entwickeln, um eine Brücke zu bauen zwischen der jetzigen Situation und einer globalen Alternative.

- Drittens gehe es um den Aufbau von Instrumenten, also Parteien und Organisationen, die die in der Lage sind, eine antikapitalistische Analyse der doppelten Krise - der sozialen und der ökologischen - anzubieten.

Ökosozialismus

Für Tanuro unterstreicht die Klimakrise die Notwendigkeit einer Gesellschaft, die sich die Produktion von Gebrauchswerten zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse zum Ziel setzt und nicht die Akkumulation von Profiten durch die Ausbeutung von Arbeit und die Produktion von Tauschwerten. Diese Beschreibung passe genau auf die Definition des Sozialismus, auch wenn es keine historischen Beispiele gebe, auf die wir uns berufen können. Marxisten in der Vergangenheit hätten die ökologische Frage oft vernachlässigt und sind deshalb aufgefordert, sich damit eingehend auseinandersetzen.

"Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht - sondern dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehen und dass unsere ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug zu allen anderen Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können."

(Friedrich Engels, in: Dialektik der Natur, MEW20 S.453)

Um das Klima zu stabilisieren, sei jedoch nicht nur die Entwicklung neuer Technologien zur Energieerzeugung nötig, sondern auch eine andere Art der Landwirtschaft und eine andere Aufteilung der Raumnutzung. Dieser Aufbau eines neuen Systems wäre eine langfristige Aufgabe, welche die Zerstörung der kapitalistischen Produktionsapparate zwangsläufig mit sich bringe. Die Ergreifung der politischen Macht wäre dabei nur der Ausgangspunkt für die Umgestaltung.

Auch etwas Gutes kann Tanuro der Klimakrise abgewinnen: Ein neues Energiesystem müsse die Dezentralisierung der Elektrizitätsversorgung mit sich führen, was sehr gut mit einem sozialistischen System demokratischer Selbstverwaltung zu vereinen sei. Außerdem müsse mehr in lebendige Arbeit wie Pflege, Erziehung, Gesundheit usw. investiert werden. Doch von der Vorstellung vieler SozialistInnen, dass die Werktätigen durch Maschinen und Roboter von der manuellen Arbeit befreit würden, müsse man sich verabschieden. Denn gerade die ökologische Landwirtschaft verlange viel Intelligenz, Sensibilität und Fingerspitzengefühl, was nur menschliche Arbeit leisten kann.

Letztlich erfordere es ein Umdenken, betont Tanuro, die Natur dürfe nicht länger nur aus der Perspektive der Produktion, als Vorratslager für Ressourcen oder als Mülldeponie, betrachtet werden. Auch das Konsumverhalten müsse sich ändern, was aber keinen Verlust bedeute - denn die Überkonsumation in der heutigen Gesellschaft resultiere aus der Frustration vieler Menschen -, sondern Platz geben würde für wirklichen Reichtum, den Reichtum der menschlichen Beziehungen.

In Kopenhagen sieht Tanuro einen Aufbruch, weil es das erste Mal gelungen war, Massen für die Frage der Umwelt zu mobilisieren, wobei nicht große Umweltorganisationen, die die Umweltfrage meist isoliert von der sozialen Frage betrachten, die große Rolle gespielt haben, sondern vielmehr die zahlreichen sozialen Bewegungen aus aller Welt.

Daniel Tanuro ist Autor des Buches: "Green Capitalism: Why it Can't Work". Merlin Press, London, 2013
Artikel auf Deutsch: Daniel Tanuro (2011): Energie und Umbau der Produktion. Herausforderungen für eine ökosozialistische Alternative, Emanzipation 1 (1), S. 66-83.


erschienen in: Talktogether Nr. 32/2010

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