Weltflüchtlingstag 2025: 122 Antworten - eine Annäherung

Lecture Performance für zwei Sprecherinnen zum Weltflüchtingstag
von Alexandra Leonie Kronberger
Gemeinsam mit der freischaffenden Künstlerin Alexandra Leonie Kronberger hat der Verein Salzburg – Kommunikation & Kultur das "Institut für Internationales und Integration Austria" ins Leben gerufen, mit dem Ziel, eine Umfrage in der Stadt Salzburg zum Thema Flucht und Asyl durchzuführen. Vom 9. bis 15. Juni 2025 wurde mit einem Fragebogen erhoben, wie bewusst die Befragten in ihrem Alltag in Kontakt zu Menschen mit internationaler Biografie stehen. In der zweiten Hälfte wurden die Menschen dazu befragt, inwiefern sie sich vorstellen können, selbst einmal vom Thema Flucht und Asyl betroffen zu sein. Anschließend wurden die Daten ausgewertet. Die Umfrageergebnisse wurden am 20. Juni, am Weltflüchtlingstag, in Form einer Lecture Performance von Alexandra Leonie Kronberger und Mayas Jahjah im Kurgarten Mirabell präsentiert. Anschließend fand dort das "Café der Kulturen" – ein bereits etabliertes Format von Talktogether und dem ABZ – statt, das bei Kaffee, Kuchen und einem bunten Kulturprogramm die Gelegenheit bot, miteinander ins Gespräch zu kommen und einander kennenzulernen.
A: Herzlich Willkommen, liebe Besucher*innen, an diesem wunderschönen Sommernachmittag im Mirabellgarten in Salzburg. Mein Name ist Alexandra Leonie, und gemeinsam mit meiner Co-Moderatorin Mayas möchte ich Sie heute zu unserem Vortrag anlässlich des Weltflüchtlingstages willkommen heißen.
M: Der 20. Juni, der internationale Flüchtlingstag, soll das Bewusstsein für die weltweite Situation von geflüchteten Menschen schärfen und ein Zeichen der Solidarität mit allen darstellen, die zur Flucht gezwungen wurden.
A: An diesem Tag wird auf die vielfältigen Herausforderungen hingewiesen, mit denen Geflüchtete konfrontiert sind – ebenso wie auf ihre Rechte, Bedürfnisse und den Schutz, den sie benötigen.
M: Seit 2001 veröffentlicht der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen jährlich zum Weltflüchtlingstag die Global Trends-Berichte mit den aktuellen Zahlen. Ein paar davon möchten wir mit euch teilen.
A: Bis Ende 2024 sind 123,2 Millionen Menschen gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben worden. Das entspricht einer von 67 Personen oder anders ausgedrückt etwa 1,5% der Weltbevölkerung.
M: Rund 40 Prozent aller Geflüchteten sind Kinder. Im letzten Jahrzehnt hat sich die Zahl der Vertriebenen beinahe verdoppelt.
A: Wir möchten euch heute das Institut für Internationales und Integration Austria, kurz IIIA, vorstellen.
M: Das Institut für Internationales und Integration Austria wurde dieses Jahr in Salzburg gegründet, um sich mit den Themen Flucht, Asyl, Integration, transnationale Verflechtungen und Frieden zu beschäftigen.
A: Das IIIA versteht sich als Plattform für vertiefte Analyse, differenzierte Perspektiven und internationalen Dialog.
M: Es folgt einem Forschungsansatz, der verschiedene Fachrichtungen verbindet und auf Beobachtungen in der Wirklichkeit basiert. Im Mittelpunkt stehen aktuelle Veränderungen in der Gesellschaft.
A: Anlässlich des heutigen Weltflüchtlingstages haben wir unsere erste Umfrage im Salzburger Stadtgebiet durchgeführt.
M: Primär sollte die Wahrnehmung der Menschen zum Thema Flucht und Asyl erforscht werden.
A: Zudem versuchen wir durch unsere Anregungen eine Grundlage für Gespräche zu liefern, ohne zu polarisieren.
M: Wir möchten nun gerne die Ergebnisse unserer Umfrage mit euch teilen.
PROLOG
A: (nach vorne, ruhig)
122 Menschen haben an einer Umfrage teilgenommen.
M: (leise, etwas seitlich)
122 Antworten.
A: Wir haben sie gezählt.
M: Aber haben wir sie gehört?
Frage 1: Haben Sie selbst Fluchterfahrung?
M: (sachlich)
32 Menschen sagen: Ja.
83 sagen: Nein.
7 sagen: "Darauf möchte ich nicht antworten."
A: (nachdenklich)
32 Ja. 7 Schweigen.
Wie viele Geschichten stecken in diesen Zahlen?
M: (geht einige Schritte)
Wie viele Narben? Wie viele Grenzen? Wie viele Koffer?
Jede dritte Person
hier könnte betroffen sein.
Die Zahl ist da.
Aber sie erzählt nichts über den Weg.
Sie erzählt nichts
über das Warum, das Wie, das Danach.
Und vielleicht
muss sie das auch nicht.
Vielleicht reicht
es, zu wissen:
Flucht ist hier.
Frage 2: Wie viele Menschen mit Fluchterfahrung gibt oder gab es in ihrer Verwandtschaft?
M: Etwas mehr als die Hälfte sagt nein.
A: Aber fast die Hälfte aller Befragten ist oder war zumindest mit einer Person mit Fluchterfahrung verwandt.
M: Wir leben nicht nebeneinander.
Wir leben
miteinander. Oder?
Frage 3: Haben Sie persönlichen Kontakt mit Menschen mit Fluchterfahrung?
M: 39 sagen: keinen.
45: mit 1 bis 5.
14: mit 5 bis 10.
24: mit mehr als 10.
A: Kontakt ist nicht gleich Beziehung.
Nähe ist nicht gleich Verstehen.
Was bedeutet es, jemanden zu kennen, der geflüchtet ist?
Reicht das, um zu verstehen?
Frage 4: Oder beruflichen Kontakt?
A: Auch beruflich:
Fast ein Drittel hat regelmäßig mit Geflüchteten zu tun.
Ein Drittel: nie.
M: Zwei Wirklichkeiten.
Eine mit Berührungspunkten.
Eine ohne.
Und dazwischen: ein Spalt, durch den Verständnis verloren gehen kann.
Frage 5: Wie viele Dienstleistungen nehmen sie täglich in Anspruch, die von Menschen mit Fluchterfahrung ausgeführt werden?
A: Hier sieht die Realität schon ganz anders aus. Beinahe 90% der Befragten denkt, die Dienste von zumindest einer Person mit Fluchterfahrung täglich in Anspruch zu nehmen.
M: Wir sind also längst
verbunden.
Die einen lose,
die anderen eng.
Vielleicht beim
Friseur. In der Klasse. Im Büro.
A: Flucht ist nicht am Rand – sie ist Teil unseres Alltags.
Frage 6: Könnten Sie sich vorstellen, ihre Heimat unter bestimmten Umständen zu verlassen?
A: Diese Frage beantworten über 80% mit ja. Die Gründe dafür sind mannigfaltig, allen voran Krieg, Verfolgung, Zwang und existentielle Not.
M: Was würdest du tun?
Frage 7: Könnten Sie sich vorstellen, in einen Zug oder einen Bus zu steigen, ohne zu wissen, wohin die Reise führt?
M: Fast die Hälfte aller Befragten sagt ja zu einer Reise in eine ungewisse Zukunft.
A: Rund ein Drittel weiß es nicht.
Frage 8: Wie würden Sie sich verhalten, wenn Ihnen das Zielland die Einreise verweigert?
A: Rund ein Drittel aller Befragten wäre bereit, die Grenze heimlich zu überqueren, oder könnte sich vorstellen, jemanden zu bezahlen, der bei der Einreise in das Land behilflich ist.
M: Über 70% würden versuchen, in ein anderes Land zu reisen, auch wenn sie dort niemanden kennen und nicht wüssten, was sie dort erwartet.
A: Für viele Teilnehmende der Umfrage war es ein Gedankenexperiment.
M: Für einige ist es die Realität.
Frage 9: Würden Sie
versuchen, Ihre Familie nachzuholen, sobald Sie sicher in einem Land angekommen
sind?
M: Diese Frage beantworten 96 Personen klar mit JA.
A: Und in etwa dieselbe Anzahl an Befragten würde sich wütend und traurig fühlen, wenn Politiker*innen sie als Schwindler*innen oder Kriminelle bezeichnen würden.
M: Verständlich, oder?
Frage 10: Wir haben auch gefragt, ob den Menschen überhaupt bewusst ist, dass in der Vergangenheit auch Menschen aus Österreich geflüchtet sind von anderen Ländern aufgenommen wurden.
A: Gut zwei Drittel der Befragten wusste davon.
M: Aber nur rund ein Drittel wusste, dass es über 130.000 Personen waren, die flüchten mussten und auf die Aufnahme in anderen Ländern angewiesen waren.
EPILOG
A: 122 Antworten.
M: Keine Statistik.
Ein Echo.
A: Vielleicht flüstern sie.
M: Vielleicht schweigen sie.
A: (zum Publikum)
Vielleicht sagen sie: "Siehst du mich?"
M: Oder: "Sprich mit mir."
A & M gemeinsam:
(ruhig)
Vielleicht beginnt genau hier das Zuhören.
Was sehen wir,
wenn wir 122 Antworten betrachten?
Wir sehen
Annäherung.
Wir sehen
Berührung.
Wir sehen auch
Distanz.
Und vielleicht ist
genau das der Ausgangspunkt für alles Weitere: Nicht zu urteilen, sondern zu
hören.
Nicht: "Würdest du
fliehen?"
Sondern: "Was brauchst du, um zu bleiben?"
* * * * *
Wir bedanken uns für die Unterstützung des Projekts bei der Kulturabteilung des Landes Salzburg und der Stadt Salzburg.
Veröffentlicht in Talktogether Nr. 93/2025
