Wie Demokratie am Arbeitsplatz rechte Ideologien zurückdrängt

17.05.2025
Image by No-longer-here from Pixabay
Image by No-longer-here from Pixabay

Viele stehen den Wahlerfolgen rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien schockiert und ratlos gegenüber. Um dem Rechtsruck begegnen zu können, ist es wichtig, zu verstehen, was so viele Menschen in die Arme der Rechten treibt. Welchen Einfluss Erfahrungen in der Arbeitswelt auf politische Einstellungen haben, hat eine Studie in Ostdeutschland untersucht. Das Ergebnis zeigt klar: Das Gefühl von Fremdbestimmung und Kontrollverlust im Alltag fördert die Zustimmung zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen, während die durch betriebliche Mitbestimmung erlebte Selbstwirksamkeit diesen entgegenwirkt und mit einem größeren Vertrauen in die Demokratie einhergeht. Angesichts des Rechtsrucks, den wir in ganz Europa und weltweit erleben, sind diese Ergebnisse nicht nur für Ostdeutschland von größter politischer Brisanz.


Die Arbeit spielt eine bedeutsame Rolle in unserem Leben: Sie ist nicht nur wesentliche Grundlage unserer materiellen Absicherung, sie verschafft uns auch gesellschaftliche Anerkennung, stärkt unser Selbstbewusstsein und gibt unserem Leben Sinn. Am Arbeitsplatz verbringen wir einen großen Teil unserer Lebenszeit und treffen dort Menschen, die unterschiedliche soziale und kulturelle Hintergründe sowie unterschiedliche Interessen und Wertvorstellungen haben. So bringt uns die Arbeit als Gesellschaft zusammen. Entfremdet wird der Mensch jedoch von seiner Arbeit, wenn seine Fähigkeit zu kreativem und selbstbestimmten Handeln unterdrückt und die Arbeit zum Zwang wird.

Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland

Für die Studie "Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland", einer Kooperation des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts der Universität Leipzig mit der Otto Brenner Stiftung der Gewerkschaft IG Metall, wurden 3000 Beschäftigte befragt, wie sie die Mitbestimmungsmöglichkeiten in ihrem Betrieb einschätzen. Die Studie knüpft an die Leipziger Autoritarismus Studie – eine Art Barometer für rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen in Deutschland – an, die bereits 2020 das Ausmaß und die demokratiepolitische Wirkung von Beteiligung, Anerkennung und Solidarität in der Arbeitswelt untersucht hat. Erstmals wurde mit der neuen Studie ein Focus auf die ostdeutschen Bundesländer gelegt, wo die AfD ihre besten Wahlergebnisse erzielen konnte. Gleichzeitig ist die Arbeitswelt in Ostdeutschland von einer geringeren Betriebsratsdichte, niedrigeren Löhnen und einem teilweise patriarchalischen Führungsstil geprägt.

Neben einem Fragebogen zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen wurden die Beschäftigten darüber befragt, ob sie das Gefühl haben, in ihrem Unternehmen den eigenen Arbeitsalltag mitgestalten können, oder ob sie ihn vorwiegend als fremdbestimmt erleben. Dabei sollten sie angeben, inwieweit folgende Aussagen ihrer Wahrnehmung nach zutreffen:

  • Ich fühle mich bei Entscheidungen im Arbeitsalltag übergangen.
  • In meinem Betrieb kann ich offen über Betriebsräte und Gewerkschaften sprechen, ohne Nachteile befürchten zu müssen.
  • Probleme oder Konflikte im Betrieb löse ich am besten gemeinsam mit den Kollegen und Kolleginnen.
  • Wenn ich in meinem Betrieb aktiv werde, kann ich etwas zum Positiven verändern.

Es zeigte sich, dass ein Viertel der ostdeutschen Beschäftigten Nachteile befürchtet, wenn sie in der Arbeit über Gewerkschaften oder Betriebsräte reden. Insbesondere in Sachsen und Thüringen berichteten die Befragten weniger über positive Erfahrungen. Durch die ökonomische Krise wurde der Druck in den Betrieben erhöht, viele Rechte der Beschäftigten wurden zurückgenommen. Vor allem Beschäftigte in geringer qualifizierten Tätigkeiten und im Niedriglohnsektor erleben sich häufiger als machtlos und fremdbestimmt, was angesichts der digitalen Kontroll- und Überwachungstechniken nicht verwundert. Bei Menschen mit geringem Einkommen wurde zudem deutlich, wie sehr sich das Gefühl von Kontrollverlust, Einflusslosigkeit und Abwertung durch nahezu alle Lebensbereiche zieht.

Die Ergebnisse der Studie zeigen aber auch, dass institutionalisierte Formen der Mitbestimmung wie Betriebsräte oder Gewerkschaften die Wahrnehmung von Handlungsfähigkeit am Arbeitsplatz nur geringfügig erhöhen, während subjektive Erfahrungen eindeutig einen größeren Einfluss auf die politische Einstellung der Beschäftigten haben. Insbesondere die "Ausländerfeindlichkeit" sowie antisemitische und muslim-feindliche Ansichten sind deutlich geringer bei Menschen, die positive Erfahrungen am Arbeitsplatz machen können.

Die Ergebnisse der Studie stützen damit eine klassische These der Autoritarismus-Forschung, die besagt, dass Aggression gegen Schwächere oft das Symptom einer tiefen Machtlosigkeit gegenüber den Autoritäten ist, die das eigene Leben beherrschen. Gleichzeitig zeigt sie auch, dass Erfahrungen von demokratischer Handlungsfähigkeit rechtsextreme und menschenfeindliche Ansichten zurückdrängen und mit einer größeren Zustimmung zur Demokratie einhergehen.

Der Soziologe Andre Schmidt, einer der Autor*innen der Studie, ist deshalb überzeugt: Demokratieförderung muss auch mit einer Demokratisierung der Arbeitswelt verbunden sein. Die Neigung zum Autoritarismus entstehe zwar nicht in der Arbeitswelt, prägend seien vor allem Kindheit, Erziehung und Sozialisation. Im Betrieb können autoritäre Charakterstrukturen jedoch entweder bekräftigt oder andere Handlungsoptionen aufgezeigt werden, als nach oben zu buckeln und nach unten zu treten.

In einem Interview erzählt Schmidt: "Sächsische Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich zum ersten Mal in ihrem Leben organisiert hatten, gestanden uns, dass sie erstmal lernen mussten, nicht runterzuschlucken und sich wegzuducken, wenn sie sich auf der Arbeit ungerecht behandelt fühlten. Und dass sie selbst etwas fordern und das sogar gemeinsam durchsetzen können."

Rechtsextremismus – Ventil und Prothesensicherheit

Doch warum fühlen sich Menschen, die sich als machtlos und abgewertet empfinden, vom Rechtsextremismus angesprochen? Ohnmachtsgefühle und Kontrollverluste sind für die meisten Menschen schwer auszuhalten, sie verunsichern und werden als massive Kränkung empfunden. Hier setzen rechtsextreme Ideologien an und machen Angebote, diese Kränkungen zu kompensieren. Mitglieder schwächerer und marginalisierter Gruppen werden abgewertet, um sich im Gegenzug selbst aufzuwerten. An ihnen kann die angestaute Wut herausgelassen werden, ohne die Autoritäten herausfordern zu müssen. Die Idee einer Volksgemeinschaft verspricht zudem Zugehörigkeit und Anerkennung und bietet damit eine Art "Prothesen-Sicherheit", wie der Sozialpsychologe Erich Fromm es einmal formuliert hat. Rechts zu wählen ist aber auch Ausdruck von Resignation, sagt Schmidt: "Manche der Befragten schilderten in den Interviews, die AfD zu wählen, ohne sich davon irgendeine Verbesserung für ihr eigenes Leben zu erwarten." Wenn Menschen im Alltag keine Erfahrung von Selbstwirksamkeit machen, verlieren sie das Vertrauen in die Demokratie und wenden sich ab.

Mitbestimmung im Betrieb

In erster Linie sind die Unternehmen dafür verantwortlich, die innerbetrieblichen Beziehungen so zu gestalten, dass Beschäftigte demokratische Alltagserfahrungen machen können, ist der wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität Leipzig überzeugt: "Lassen sie Mitbestimmung durch Gewerkschaften und Betriebsräte zu und können aushalten, dass es dabei auch zu Reibungen kommt? Ermöglichen Sie, dass Beschäftigte ihr praktisches Wissen in die Gestaltung von Arbeitsprozessen einbringen? Ermöglichen Sie politische Bildung im Betrieb?"

Aber auch Betriebsräte und Gewerkschaften können zu positiven Erfahrungen mit Demokratie beitragen, indem sie transparent und beteiligungsorientiert handeln. Vor allem die Solidarität zwischen Beschäftigten verschiedener Hintergründe spielt eine wichtige Rolle. Deshalb ist es wichtig, die Klassenperspektive sichtbar zu machen, betont Schmidt: "Ein Beispiel sind die Debatten um das Bürgergeld. Hier waren auch viele Beschäftigte, etwa im Niedriglohnbereich, gegen eine Erhöhung und für härtere Sanktionen gegen angeblich 'sozialschmarotzende' Ausländer und Arbeitslose. Es fehlte eine Stimme, die klarmacht, dass nicht darüber verhandelt wird, wie wohltätig die Steuerzahler gegenüber den Armen sein sollen, sondern wie viel Druck in Zukunft auf die Lohnabhängigen ausgeübt wird, jeden noch so miesen Job anzunehmen."

Wirtschaftsdemokratie

Der Begriff Demokratie hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Doch wie lebendig und stabil ist eine Demokratie, wenn zentrale Bereiche des gesellschaftlichen Lebens von der Mitbestimmung ausgeschlossen sind? In der Weimarer Republik (1918-1933) beschäftigte sich der Wirtschaftsjournalist, Sozialdemokrat und Gewerkschafter Fritz Naphtali mit dieser Frage und entwickelte das Konzept der Wirtschaftsdemokratie. Er war der Ansicht, dass die parlamentarische Demokratie, die dem Bürgertum von der Arbeiterbewegung abgerungen wurde, unvollendet sei. Auch die Wirtschaft sollte demokratisch und mit gleichberechtigter Teilhabe aller gestaltet werden.

Nach der Erfahrung von Krieg und Faschismus stand man in Europa vor der Aufgabe, eine stabile demokratische Ordnung zu etablieren. Und so war es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein gemeinsames Anliegen aller Parteien in Deutschland und Österreich, alle Bereiche unseres Lebens zu demokratisieren. Insbesondere der Deutsche Gewerkschaftsbund war der Überzeugung, dass der politische Leitsatz "Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg" nur über eine Demokratisierung der Wirtschaft und der Arbeitswelt zu verwirklichen sei.

Nach dem Siegeszug des Neoliberalismus trat diese Forderung jedoch in den Hintergrund. Erst die Krisen Ende der 2000er Jahre brachten die Debatte wieder auf den Tisch, wenn auch in einer sehr viel defensiveren Form. Nun ging es vor allem um die Gefahr, dass die Rechte der Beschäftigten ausgehöhlt werden und Gewerkschaften und Betriebsräte ihren Einfluss verlieren. Wenn Menschen in Leiharbeit oder anderen prekären Verhältnissen arbeiten, ist es für sie schwieriger, sich zu organisieren. Auch die Konkurrenz verschiedener Unternehmensstandorte gegeneinander schwächt die Solidarität im Betrieb. Wenn sich dann noch mächtige internationale Konzerne wie Tesla oder Amazon weigern, Betriebsräte und Gewerkschaften anzuerkennen, konzentrieren sich alle Anstrengungen darauf, ein Mindestmaß an Arbeiterrechten zu verteidigen.

Herausforderungen

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass eine Demokratisierung der Arbeitswelt im Rahmen eines Interessenskonflikts und der ungleichen Macht zwischen Kapital und Arbeit stattfindet, noch dazu in einem Wirtschaftssystem, in dem Konkurrenzdruck und Wachstumszwang herrschen. Man könnte sagen, dass ein Beschäftigter demokratischen Boden verlässt, sobald er das Eingangstor seiner Firma durchschreitet. Er kann weder mitentscheiden, was produziert wird, noch unter welchen Bedingungen. Es sind die Eigentümer und die Geschäftsführung, die festlegen, ob in den Betrieb investiert wird oder ob die Produktion an einen anderen Standort ausgelagert wird. Somit sind der Demokratie im Betrieb klare Grenzen gesetzt. Das birgt jedoch die Gefahr einer Pseudopartizipation, in der die Belegschaft keine realen Gestaltungsmöglichkeiten hat, so Schmidt, so dass Frustration und Enttäuschung vorprogrammiert sind.

Es stellt sich die Frage, warum der Betriebsrat nicht mitentscheiden sollte, ob Werke ins Ausland verlagert werden, um Lohnkosten zu sparen und mit überholter klimaschädlicher Technologie Profite zu machen, oder ob es sinnvoller wäre, frühzeitig auf nachhaltigere Produkte umzusatteln und die Beschäftigten dafür zu qualifizieren. Angesichts von Personalabbau und Betriebsschließungen lohnt es sich auch, darüber nachzudenken, ob es Belegschaften durch staatliche Unterstützung ermöglicht werden sollte, ihren Betrieb zu übernehmen, statt ihn der Schließung oder riskanten Spekulationen zu überlassen.

Viele Konflikte können nicht allein im Betrieb geklärt werden, da auch andere gesellschaftliche Gruppen betroffen und beteiligt sind. Die Entscheidung, wieviel Demokratie in der Wirtschaft und der Arbeitswelt zugelassen wird, ist letztlich eine politische Frage. Die Demokratisierung im Betrieb sollte deshalb mit einer kämpferischen Politik im Interesse der Lohnabhängigen verbunden sein, betont Schmidt.

Schließlich dürfe nicht vergessen werden, dass Bildung und Ausbildung eine entscheidende Rolle spielen. Junge Menschen sollten nicht zu Arbeitskraft-Behältern erzogen werden, sondern dazu befähigt werden, selbstbewusst und verantwortungsvoll zu handeln. Dazu gehört auch, den Betriebs als politischem Ort zu verstehen, in dem Macht- und Herrschaftsbeziehungen gestaltet und Interessenskonflikte ausgehandelt werden.

______________

Quellen:

Mach' meinen Kumpel nicht an! (gelbehand.de) 03.12.2024: Ein Gespräch mit Andre Schmidt über Diskriminierung als Demokratiegefährdung und Möglichkeiten der Demokratisierung von Arbeit

Jacobin Magazin (jacobin.de) 03.02.2024: Ohnmacht ist die Wurzel des Ressentiments. Interview mit Andre Schmidt

Otto Brenner Stiftung (otto-brenner-stiftung.de) 12.12.2023: Johannes Kiess, Alina Wesser-Saalfrank, Sophie Bose, Andre Schmidt, Elmar Brähler und Oliver Decker: Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland. Erlebte Handlungsfähigkeit im Betrieb und (anti)demokratische Einstellungen