Wir müssen stören, um gehört zu werden

21.11.2023
Sitzprotest auf der Staatsbrücke. Foto: Archiv der Letzten Generation
Sitzprotest auf der Staatsbrücke. Foto: Archiv der Letzten Generation

Auch in Salzburg haben Mitglieder der "Letzten Generation" mit ihren Protesten den Frühverkehr lahmgelegt. Indem sie sich auf die Straße setzen und mit einer Hand an die Straße kleben, protestieren die  Klimaschützer*innen gegen die Bundesregierung, die keine geeignete Maßnahmen setzt, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Manche ärgern sich über diese Aktionen und fordern härtere Strafen für die Menschen, die mit ihren Protesten Staus verursachen. Wer jedoch Medienberichten Glauben schenkt, in denen die Mitglieder der "Letzten Generation" als Chaoten und Unruhestifter dargestellt werden, sollte genauer hinsehen.

Am 9. Oktober fand ein Prozess am Verwaltungsgerichtshof Salzburg statt. Vier Mitglieder der "Letzten Generation", die am 29. März mit einer Sitzblockade den Verkehr behindert hatten, haben gegen die über sie verhängten Verwaltungsstrafen Einspruch erhoben. Sie sehen es als ihr legitimes demokratisches Recht an, auf diese Weise auf die drohende Klimakatastrophe aufmerksam machen und ihren Protest gegen die unzureichende Antwort seitens der Politik zum Ausdruck zu bringen. Talk Together hat mit einer Teilnehmerin der Protestaktionen gesprochen.


Die letzte Generation

Bei der Verhandlung am 9. Oktober konnte man sich davon überzeugen, dass es sich bei den Protestierenden um höchst verantwortungsbewusste Menschen handelt, die aus ihrer Verzweiflung über die Untätigkeit der Politik heraus keine andere Möglichkeit sehen, um auf die Problematik der Erderhitzung aufmerksam zu machen. Bei den Mitgliedern der letzten Generation handelt es sich um Menschen unterschiedlicher Altersgruppen mit verschiedenen Berufen: Sie sind Wissenschaftler*innen, die die Folgen der Erderhitzung erforschen, Student*innen, die sich an der Uni damit auseinandersetzen, Eltern, die sich um die Zukunft ihrer Kinder sorgen, Menschen, die über die Untätigkeit der politisch Verantwortlichen verzweifelt sind. Wir sind die letzte Generation, sagen sie, die einen unumkehrbaren Klimakollaps noch aufhalten kann. Straßenblockaden sind für sie eine Form des zivilen Widerstands, um die Menschen auf die Dringlichkeit des Problems aufmerksam zu machen. Diese laufen üblicherweise so ab: Drei Personen kleben sich mit einer Hand auf die Straße, währende eine vierte Person aufsteht, um Busse oder Einsatzfahrzeuge vorbeizulassen.

"Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind klar, doch die politischen Maßnahmen unzureichend", erklärt Mirko J. bei der Verhandlung sein Motiv. Der Wissenschaftler engagiert sich bei den Scientists for Future, einer Vereinigung, der sich allein im deutschen Sprachraum an die 30.000 Wissenschaftler*innen angeschlossen haben. Auch die Psychologin Hanna Z. erläutert ihre Gründe: "Ich praktiziere seit vielen Jahren als Psychologin. Dabei stoße ich immer öfter auf ein für mich unlösbares Problem. Immer mehr Menschen kommen in meine Praxis, weil sie aufgrund der Klimakrise unter Verzweiflung, Ohnmachtsgefühlen und Depressionen leiden. Weil ich ihnen darauf keine Antwort geben kann, habe ich mich entschlossen, aktiv zu werden und mich der Letzten Generation anzuschließen." Schließlich erläutert die Aktivistin Martha Krumpeck den Grund, warum sie bei ihren Aktionen bewusst Regeln übertreten: "Versammlungen, die nicht stören, werden nicht gehört. Wir haben keine Handhabe im Rahmen der Gesetze. Man kann den Staat nicht verklagen. Eine Klage der Kinder wurde abgewiesen."

Der Hintergrund: Zwölf Kinder und Jugendliche hatten Anfang des Jahres die Republik vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof verklagt, durch fehlende bzw. nicht ausreichende Klimaschutzmaßnahmen ihre Zukunft zu gefährden, und haben sich dabei auf die Kinderrechte berufen. Obwohl diese in der österreichischen Verfassung verankert sind, hat der Verfassungsgerichtshof die Klage zurückgewiesen – wegen Formfehlern, wie es in der Begründung hieß.

Gespräch mit Johanna

Johanna Köll ist überzeugt, dass es zu einer Demokratie gehört, dass man auf die Straße geht, um seinen Anliegen Ausdruck zu verleihen: "Gerade wenn ein Anliegen so dringend ist, denn die Klimakrise betrifft ja alle. Gesellschaftliche Veränderungen sind noch immer von unten gekommen und nicht von oben. Früher war es üblich, dass auf der Straße Diskussionen geführt und Reden gehalten wurden. Wir sollten die Straße als politischen Ort zurückerobern."

Für berufstätige Menschen ist nicht einfach, das Engagement für den Klimaschutz und den Beruf unter einen Hut zu bringen. Die wenigsten Arbeitgeber haben Verständnis dafür, dass man wegen einer Protestaktion zu spät zur Arbeit kommt oder wegen einer Gerichtsverhandlung wegmuss. "Ich kenne Menschen in meinem Alter, die gar keinen Sinn mehr darin sehen, eine normale Arbeit zu machen, wenn sie sich vorstellen, dass in zwanzig Jahren vielleicht nicht mehr genug zu essen da ist."

Johanna hat sich im Zuge ihres Engagements für den Tierschutz und den Veganismus auch mit der Klimakrise auseinandergesetzt. "Seit 30 Jahren wissen wir über die Auswirkungen der Treibhausgase Bescheid, trotzdem ist viel zu wenig getan worden, um die drohende Katastrophe abzuwenden. Wir müssen jetzt Veränderungen erzielen." Dass 2019 Greta Thunberg weltweit Aufmerksamkeit für das Problem der Erderhitzung erreicht hat, hat sie motiviert, bei den Fridays for Future-Demos mitzumachen, die immerhin bewirkt haben, dass der Klimaschutz als gesellschaftlich wichtiges Thema angesehen wird.

"Dann ist ans Licht gekommen, dass Österreich nicht einmal ansatzweise die Klimaziele erreicht, zu denen es sich völkerrechtlich verpflichtet hat. Doch wenn einmal die Kipppunkte erreicht sind, werden die Auswirkungen der Erderhitzung unkontrollierbar. Wie kann ich das einfach hinnehmen und ruhig sitzenbleiben? Ich bin ein empathischer Mensch, mir liegen die Menschen und die Tiere am Herzen. Mir war klar, dass ich handeln muss, auch wenn es nicht leicht war, das meinem Umfeld zu vermitteln. Da habe ich erkannt, dass die Dringlichkeit des Problems in den Köpfen der Leute noch nicht angekommen ist. Deshalb müssen wir stören, damit unsere Botschaft gehört wird."

Unterschiedliche Reaktionen

Wenn sich Johanna mit ihren Mitstreiter*innen auf die Straße setzt, um den Verkehr aufzuhalten, ist sie mit unterschiedlichen Reaktionen konfrontiert: "Manche ärgern sich und beschimpfen uns wütend. In den Medien nennen sie uns Klimakleber, aber ich hasse diesen Begriff, weil er entmenschlichend ist. Wir sind Bürger und Bürginnen, die verzweifelt sind über die Politik, die nicht in der Lage ist, die einfachsten Maßnahmen umzusetzen. Wir bekommen viel Gegenwind, aber wir bringen wenigstens einen gesellschaftlichen Diskurs in Gang."

Johanna hat Verständnis für die Menschen, die sich über die Blockaden aufregen. Sie betont, wie leid es ihr tut, die Menschen so stören zu müssen: "Mir ist bewusst, dass die Leute in die Arbeit oder in den Kindergarten müssen, ich verstehe ihren Ärger hundertprozentig, mir würde es in ihrer Situation genauso gehen." Bei den Protestaktionen versucht sie deshalb immer, mit den Menschen zu sprechen und ihnen ihre Beweggründe zu erklären. Manchmal klappt das gut, manchmal weniger. Sie versteht aber auch die Beweggründe derjenigen, die mit hasserfüllten Drohungen reagieren. "Das ist psychologisch einfach erklärt. Es ist leichter, sich über uns aufzuregen, weil wir uns in dem Moment, wo wir auf der Straße sitzen, sehr angreifbar machen." Es ist eben gefahrloser, auf Schwächere loszugehen, als sich gegen die Mächtigen aufzulehnen und das System in Frage zu stellen.

Ohnmacht und Resignation überwinden

Es gibt aber auch viele Menschen, die ihre Zustimmung zeigen, indem sie den Daumen hochheben oder klatschen. "Am 29. März hat sich eine Frau zu uns dazugesetzt", erzählt Johanna. "Sie hat uns erzählt, dass sie mit ihrer Tochter viel über die Erderhitzung und die Aktionen der Letzten Generation gesprochen hat. Es gibt viele, die bei uns mitmachen wollen und die sich total freuen, wenn sie angerufen werden. Die Möglichkeit, aktiv zu werden hilft ihnen dabei, das Gefühl der Ohnmacht zu überwinden. Man muss sich auch nicht unbedingt an die Straße kleben, es gibt auch viele andere Formen des Protests. Sinnvoll ist alles, was dabei hilft, unsere Forderungen in die Öffentlichkeit zu bringen. Wir wollen kein Störfaktor sein, sondern möglichst viele Menschen für unsere Anliegen gewinnen."

Dass sie mit moderaten Forderungen wie "Tempo 100" oder die Beendigung von Öl- und Gasförderungen an die Öffentlichkeit treten, ist eine bewusste Entscheidung. "Wir haben mit einfachen Forderungen gestartet, die leicht umsetzbar wären, um die Kommunikation verständlich zu gestalten. Damit die Leute verstehen, dass die Politik nicht einmal in der Lage ist, die einfachsten Maßnahmen umzusetzen. Immerhin haben wir erreicht, dass die Forderung Tempo 100 viel Zustimmung erhält und zu einem Wahlkampfthema geworden ist."

Eine weitere Forderung der Letzten Generation lautet: "Hört auf den Klima-Rat!" Dieser wurde von der Regierung ins Leben gerufen, nachdem das Klimavolksbegehren 2020 von fast 400.000 Menschen unterstützt wurde. Eine der Kernforderungen des Volksbegehrens war nämlich, die österreichische Bevölkerung aktiv bei Klimaschutzmaßnahmen mitbestimmen zu lassen, denn um die vorgegebenen Ziele einzuhalten, brauche es dringend umfassende Maßnahmen, die von allen mitgetragen werden. Daraufhin wurden Bürger*innen aus allen Regionen und Teilen der Gesellschaft ausgewählt, die sich an mehreren Wochenenden zusammensetzten, um geeignete Maßnahmen auszuarbeiten, mit denen einer Klimakatastrophe entgegengewirkt werden kann. Unterstützt wurden sie dabei von Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Fachrichtungen. Ergebnis dieses Prozesses war ein Katalog mit 93 Forderungen. "Diese machen alle viel Sinn und wären einfach umsetzbar", ist Johanna überzeugt, "wenn man sich nicht an kurzfristigen Profitüberlegungen orientiert, sondern überlegt, wie wir die Jahre, die uns noch verbleiben, nützen können, um die schlimmsten Folgen abzuwenden. Wichtig ist, dass es für alle leistbar und kein Luxus sein sollte, nachhaltig zu sein."

Leider fehlt es jedoch am politischen Willen, den Empfehlungen des Klimarates zu folgen. Besonders ärgert es Johanna, wenn als Ausrede für die Untätigkeit der Politik das Argument vorgebracht wird, dass bevölkerungsreiche Länder wie China oder Indien mehr tun müssten: "Das halte ich für ein dummes und rassistisches Argument. Die Menschen dort produzieren doch unseren ganzen Krempel, die Kleider und die Handys, die wir nach einem Jahr wieder wegschmeißen. Wir sollten nicht mit dem Finger auf andere zeigen, sondern hier etwas tun."

"Wo jetzt Parkplätze für die Autos sind, könnten Straßencafés sein", beschreibt Johanna ihre Zukunftsvision und stellt sich vor, wie sie dort gemütlich einen Cappuccino mit Hafermilch trinkt. Eine Verbesserung des Öffentlichen Verkehrs in Salzburg wäre umsetzbar, ist sie überzeugt, auch ohne auf den S-Link zu warten. "Es heißt immer, die Geschäfte brauchen Parkplätze. Doch man muss sich nur die Getreidegasse oder die Linzergasse anschauen. Die sind immer bummvoll, weil hier Fußgängerzone ist. Viele Geschäfte müssen aber zusperren, weil die Mieten so hoch sind."

Angst ist kein guter Ratgeber

Die Wissenschaft warnt seit vielen Jahren eindringlich vor den unvorhersehbaren Folgen der Erderhitzung, die rascher voranschreitet als vorhergesagt, und drängt zu raschem Handeln. Wir sollten in Panik geraten, hat Greta Thunberg einmal sogar gemeint. Es ist jedoch fraglich, ob Angst ein guter Ratgeber ist, da wir Menschen dazu neigen, beunruhigende Gedanken und Gefühle zu verdrängen, um unser psychisches Wohlbefinden zu schützen. Sollten wir uns nicht lieber vor Augen halten, was wir gewinnen können, wenn wir unsere Wirtschafts- und Lebensweise verändern?

Wenn eine Landgemeinde kein Geschäft, kein Gasthaus, keine Arztpraxis oder keine Poststelle mehr hat, sind die Bewohner*innen gezwungen, weite Strecken zurückzulegen, meist mit dem Auto und oft genug im Stau. Wenn wir aber in unserer Gemeinde oder in unserem Stadtteil einen Arbeitsplatz sowie alle Einrichtungen vorfinden, was wir im täglichen Leben benötigen, haben wir weniger Stress und gewinnen Zeit, die wir nutzen können, um Freundschaften zu pflegen, uns mit unseren Kindern zu beschäftigen oder uns künstlerisch zu betätigen. Zudem gibt es genügend bereits erprobte Konzepte wie Stadtgärten, Food-Coops, Tauschkreise oder Repair-Cafés, die uns einen Vorgeschmack darauf geben können, wie eine Gesellschaft aussehen kann, in der wir weniger konsumieren aber dafür mehr leben.

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Mehr Infos:
Der Klimarat:
www.klimarat.org
Letzte Generation Österreich: www.letztegeneration.at

veröffentlicht in Talktogether Nr. 86 / 2023

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